Unternehmen der Zukunft

5 Lehren aus dem verflixten Jahr 2020

Die Krise verlangt Unternehmen einiges ab. Und doch gilt es, das Unternehmen der Zukunft weiterzudenken. Diese 5 Themen sollten jetzt in den Fokus rücken.

Die Covid-19-Pandemie verlangt vielen Unternehmen nach wie vor einiges ab. Ganze Marktsegmente fallen aus. Lieferketten werden immer wieder unterbrochen. Produktionssteuerung gerät zum Abenteuer. Der Cash Flow stellt sich bei vielen Unternehmen als stürmisches Meer dar. Die Konjunkturdaten sind – wie jeder weiß – gelinde gesagt nicht rosig, aber auf jeden Fall volatiler als ohnehin üblich. Mit anderen Worten: Längst übersteigt der tiefgreifende Wandel der Märkte die Adaptionsfähigkeit der Unternehmen. Und das gilt umso mehr in Zeiten von weltweiten Krisen. Die Arbeitsorganisation muss immer wieder neu an das Infektionsgeschehen – Stichworte sind hier Lockdown und Homeoffice – angepasst werden. Die Liste solcher Unwägbarkeiten ließe sich beliebig fortsetzen.

Es steht außer Frage: Das Jahr 2020 gönnt den Unternehmen keine Ruhepause; Taktik rangiert zwangsläufig vor Strategie. Und doch ist es jetzt an der Zeit, über die Pandemie hinaus das Unternehmen der Zukunft zu denken und die wesentlichen Themen wieder in den Fokus zu rücken. Die Welt bleibt nicht stehen. Wo also anfangen mit der langfristigen Ausrichtung?

1. Klimaschutz

Das Corona-Virus und der Klimaschutz stehen in einer paradoxen Wechselwirkung. Zum einen hat Covid-19 den Klimawandel aus den Schlagzeilen und damit auch etwas aus dem Bewusstsein gedrängt, was die Ziele des Pariser Abkommens zusätzlich gefährdet. In diesem Wahrnehmungsschatten wurde beispielsweise so viel tropischer Regenwald wie nie zuvor abgeholzt, meist illegal und ungestört, weil Corona-bedingt viele Kontrollen ausgefallen sind und die Korruption blüht.

Gleichzeitig haben die Lockdowns, die Kontakt- und Reiseverbote des Jahres 2020 gezeigt, wie schnell sich Umweltparameter verbessern, wenn die Konsumgesellschaft auf die Bremse tritt. In der Lagune von Venedig klarte das Wasser auf. Die Emissionen an Treibhausgasen sind weltweit um 4,6 Prozent zurückgegangen, obwohl die Menschen wieder verstärkt mit den Privat-Pkws unterwegs waren.

Hier gilt es anzuknüpfen, denn in Sachen Klima gibt es kein Zurück mehr. Und es muss jetzt gehandelt werden. Die in Deutschland immer wieder zu hörende Klage, ambitionierte Klimaziele gefährdeten die Wettbewerbsfähigkeit, ist ein falsches Signal. Gerade das Land der Erfinder und Ingenieure sollte eine prominente Rolle einnehmen, aktiv besetzen und mit marktführendem Klimaschutz, klimaneutralen Produkten und ökologischen Innovationen vorangehen. Für verantwortungsvolle Entrepreneure wird sich diese Strategie auszahlen. Glücklicherweise haben sich viele Unternehmen längst dafür entschieden, ein Teil der Lösung und nicht ein Teil des Problems zu sein.

2. Diversität

2020 ist nicht nur das Jahr der Pandemie, sondern auch das Jahr von Hashtag #Black Lives Matter. Der 2013 gegründeten Bewegung – von der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung inspiriert – schließen sich seit nach dem gewaltsamen Tod des US-Amerikaners George Floyd im Mai weltweit wieder vermehrt Menschen in Demonstrationen und Solidaritätsbekundungen im Kampf gegen Rassismus und Unterdrückung an.

In den USA kommt noch einmal mehr die Ungerechtigkeit zum Ausdruck, dass die afroamerikanische Bevölkerung viel stärker unter Covid-19 betroffen ist und deutlich mehr Tote zu beklagen hat als die weiße Population. Gleichzeitig tritt neben der offensichtlichen und brutalen Ausgrenzung die gern übersehene, stillschweigend geduldete, institutionelle Diskriminierung deutlich zutage. Viele Menschen haben nach wie vor aufgrund ihrer Hautfarbe, ihrer Nationalität, ihres Geschlechts, ihrer Religion oder ihrer sexuellen Orientierung keinen gleichberechtigten Zugang zu Bildung, Jobs und Karrierechancen.

Die Folge dieser strukturellen Benachteiligung: Unternehmen und Organisationen, die Diversität nicht oder nur zögerlich fördern, verschenken ein enormes Potenzial an Talenten und Fähigkeiten sowie an inter- und intrakulturellen Skills, die sie in der globalisierten und vernetzten Welt dringend benötigen. Die Adaptionsfähigkeit zu erhöhen ist das betriebswirtschaftlich entscheidende Ziel. Nur vielfältig und vielschichtig besetzte Teams können die komplexen und oft unberechenbaren Signale der Märkte deuten und in wirtschaftlich vernünftiges Handeln umsetzen. Anders gesagt: „Customer Centricity“ – also die effiziente Ausrichtung aller Prozesse auf die Kunden – kann nur von diversifizierten Teams erreicht werden, und nicht, um es überspitzt zu formulieren, von alten weißen Männern an der Spitze eines Unternehmens.

3. Veränderungskompetenz

Das Produkt des Jahres 2020? Schutzmasken. Kleine Schneider- und Modebetriebe haben die Produktion aufgenommen, weil ihre Kunden nicht mehr zum Shopping zu ihnen kommen konnten. Industriebetriebe hielten es genauso, weil die Wertschöpfungsketten ihrer Branchen zumindest vorübergehend gerissen sind und sie schnell Einnahmen generieren mussten. Es lohnt sich, darüber etwas nachzudenken.

Die Veränderungsfähigkeit, die viele Unternehmen im Jahr 2020 an den Tag gelegt haben, avanciert zur Kernkompetenz. Die Unternehmen der Zukunft müssen auf globale Krisen, Wirtschaftskriege und geostrategische Herausforderungen ebenso flexibel reagieren können wie auf ein mitunter erratisches Verhalten von Abnehmern und Märkten. Unternehmerische Strategien unterliegen immer kürzeren Halbwertzeiten. Das erfordert eine entschiedene, pragmatische Lösungsorientierung. Dies erfordert, Signale frühzeitig zu erkennen, zu deuten und in Handlungen umzusetzen. Alles ist im Fluss. Die Lieferketten verschieben sich. Unternehmen holen die Produktion von Zulieferteilen aus Fernost zurück nach Europa und Deutschland. Und beschleunigt durch die digitale Transformation, insbesondere das „Internet of Everything“, verschwinden die einst so klaren Grenzen zwischen Industrie- und Endverbrauchergeschäft. Neue Allianzen und Netzwerke entstehen auf Produzenten- wie auf Abnehmerseite, ganze Wertschöpfungsstufen fallen weg. „B2C ist das neue B2B“ ist eine oft zitierte These – und sie stimmt.

4. Technologisches Rückgrat

Völlig zu Recht wurden die Digitalisierungssprünge vieler Unternehmen in der Covid-19-Pandemie vielfach gelobt. Was lange ein quälender, sich viel zu lange hinziehender Prozess war, nämlich die Arbeitsorganisation durch Technologie zu flexibilisieren, gelang im Frühjahr im Handumdrehen mit Homeoffice und Videokonferenzen. Dieser Fortschritt kratzt nur an der Oberfläche; das ist noch lange nicht der Digitalisierungsschub, den die deutsche Wirtschaft braucht, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben. Die Herausforderungen sind von einem anderen Kaliber:

  • Wie schöpfe ich Wert aus Daten?
  • Wie gelange ich zu wertschöpfenden, digitalen Geschäftsmodellen?
  • Wie setze ich Künstliche Intelligenz und Maschinelles Lernen ein, um meinen Servicelevel gegenüber den Kundinnen und Kunden zu verbessern, Rationalisierungspotenziale zu heben und gleichzeitig ein verantwortungsvolles Unternehmen zu bleiben?
  • Wie finde ich Anschluss an die Innovationscluster, die sich um die Start-up-Szenen in Berlin und München, in Köln und im Ruhrgebiet herausbilden – um die deutschen Hochburgen zu nennen –, und an europäische Hotspots wie London, Paris oder Stockholm?

Dies alles sind Fragen, die über die Zukunftschancen eines Unternehmens entscheiden. Sie drehen sich nicht um Digitalität um jeden Preis und schon gar nicht um Schaufenster-Projekte. Vielmehr geht es darum, auch im digitalen Zeitalter die ureigene Aufgabe eines jeden Entrepreneurs zu meistern: Wettbewerbsvorteile entwickeln.

5. Beziehungsfähigkeit

Die Beziehung der Wirtschaft zur Gesellschaft verändert sich im 21. Jahrhundert grundlegend. Der alte Spruch „Wenn es der Wirtschaft gut geht, geht es allen gut“, hat ausgedient. Zu sehr implizierte diese marktliberale Haltung einen radikalen Kern, der Unternehmen losgelöst von der gesellschaftlichen Entwicklung nach Marktanteilen, Umsatz und Gewinn streben ließ. Die Folge war und ist, dass sich die Schere zwischen arm und reich immer weiter öffnet, so sehr, dass selbst der Internationale Weltwährungsfonds Alarm schlägt.

Zudem zeigen Umfragen immer wieder, dass selbst in erfolgreichen Volkswirtschaften wie Deutschland und den USA mehr als die Hälfte der Menschen nicht mehr an den Kapitalismus glauben. Wenn sich diese Skepsis in einer tiefen Krise wie der Corona-Pandemie mit irrationalen Verschwörungstheorien und Protesthaltungen verbinden, kann eine explosive Mischung entstehen. Aus eigenem Selbstverständnis und weil die Zeitläufe es verlangen, muss die Wirtschaft einen Wandel vollziehen: weg vom Shareholder Value, hin zum Stakeholder Value. Ein Umdenken, in dem laut Edelmann Trust Barometer mittlerweile 92 Prozent aller deutschen Bürgerinnen und Bürger die Grundlage für langfristigen unternehmerischen Erfolg sehen. Sie fordern Kompetenz und Haltung, Ethik und Solidarität ein.

Unternehmer, die in der „Stakeholder Economy“ ihre Rolle als „Corporate Citizen“ noch nicht ausgestaltet respektive gefunden haben, sollten es jetzt tun. Wer dies versäumt, wird von den Märkten abgestraft und beschädigt auch sein Employer Branding: Nachwuchsgenerationen suchen sich ihren Arbeitgeber unter dem Kriterium des gesellschaftlichen Engagements aus.

Unternehmen der Zukunft: So gelingt der Wandel

Der Schlüssel zu diesen fünf Handlungsfeldern? Eine partizipative Kultur und eine Haltung, die sich zu Beteiligung bekennt. Dazu braucht es ein echtes Innovationsmanagement und vor allem ein tragfähiges Wissensmanagement.

Viele Führungskräfte gelangen derzeit zu der überfälligen Einsicht, dass ihre einst bewährten Handlungsmuster nicht mehr funktionieren. Die Lösungen von gestern sind für die Probleme von heute nicht mehr gefragt; mit Erfahrungswissen sind viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht mehr zu erreichen. Sie wollen vielmehr genau dort abgeholt werden, wo sie momentan im Koordinatensystem von Pandemie, Digitalisierung, Rezession und Unternehmenspolitik stehen. Statt Antworten zu geben, müssen Managerinnen und Manager dringend ein Umfeld schaffen, in dem die Menschen gerne und eigenverantwortlich einen positiven Beitrag leisten möchten.

Gleichzeitig gilt es, Sinn zu stiften, der Belegschaft ein Gesamtbild zu vermitteln sowie weitgehende Transparenz zu Projekten und Strategien zu verschaffen. Nur so können Teams respektive Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in dieser herausfordernden, komplexen Zeit umsichtig handeln.

Der Autor:

DR. THOMAS FISCHER, Allfoye Managementberatung GmbH

Dr. Thomas M. Fischer ist Gründer & CEO der Allfoye, Mitglied im Management-Board der All for One Group, Chairman des Institute for Leadership & Transformation sowie Startup-Gründer, Coach und Investor. Als Experte für Digitalisierung und Zukunftsfähigkeit mittelständischer Unternehmen ist er regelmäßig im SWR Podcast, nTV oder der WiWo zu Gast. Seine Ideen und Impulse teilt er gerne mit der MoreThanDigital.info-Community.

Dr. Thomas M. Fischer bei LinkedIn

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