Digitalisierung und Customer Journey im Bankensektor

Eine Einführung in das Thema Digitalisierung und Customer Journey im Bankensektor

Wie können Banken die technischen Möglichkeiten der Digitalisierung nutzen und Geschäftsmodelle, Services und „Customer Journeys“ anpassen? Hier gibt es einige Elemente, die beachtet werden sollten.

Die Digitalisierung hat erhebliche Auswirkungen auf die Gestaltung von Geschäftsmodellen und Services in der Finanzbranche. So gewinnen etwa FinTech-Unternehmen, also moderne Technologieunternehmen im Bereich von Finanzdienstleistungen, im klassischen Bankensektor seit einigen Jahren immer größere Marktanteile. FinTechs bieten fortschrittliche digitale Dienste, wecken neue Erwartungen bei den Kunden und beeinflussen die Umsatz- und Kostendynamik bestehender Dienstleistungen.

Trotz dieser dynamischen Entwicklung haben nur wenige Finanzdienstleister den digitalen Trend voll aufgegriffen. Die meisten Banken bieten zwar bereits Bankdienstleitungen online und auch auf mobilen Geräten an, viele Servicefunktionen sind jedoch nicht immer gut organisiert und nur auf bestimmte Kundenanwendungen beschränkt. Ein Kunde kann etwa über eine einfache Online-Schnittstelle einen Kredit beantragen. Danach muss er jedoch feststellen, dass alle weiteren Vorgänge – von der Bonitätsprüfung bis zur Kreditbewilligung – weiterhin eine persönliche Anwesenheit in der Bankfiliale, zusätzlichen „Papierkram“ und viel Zeit erfordern.

Diese Inkonsistenz ist für den Kunden ärgerlich. In nur zehn Minuten können Sie ein neues Handy kaufen und einen Tarif wählen. Gleichzeitig kann die Abwicklung des Kaufs von Bankprodukten – mit Ausnahme von Kontostandsprüfung, Bargeldbezug und anderen Grunddienstleistungen – im Schnitt mehrere Tage oder sogar Wochen dauern. Den Banken ist es durchaus bewusst und sie versuchen, Servicezyklen zu verkürzen, aber die Kundenanforderungen steigen weiter und benötigen zunehmend Echtzeit-Service.

Um die Qualität des Kundenerlebnisses durchgreifend zu verbessern, sollten Banken drei Dinge tun:

  • Bei der Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen sollte der Kunde im Mittelpunkt stehen.
  • Prozesse sollten komplett überarbeitet, digitalisiert und automatisiert werden. So wird die Effizienz gesteigert und die Geschwindigkeit für den Kunden erhöht.
  • Die Organisationsstruktur sollte optimiert werden, um die Prinzipien der Kundenzentrierung im gesamten Unternehmen fest zu verankern.

Schaffung eines kundenzentrierten Denkens

Ein junger Mann mit negativem Kontosaldo wird sich wahrscheinlich nicht überlegen, ob er einen Überziehungsschutz oder noch besser eine Prepaid-Debitkarte braucht –  höchstwahrscheinlich denkt er eher daran, wie er seine Ausgaben effektiver kontrollieren kann. Eine erfolgreiche Frau, die sich selbstständig machen möchte, interessiert sich nicht für die Vor- und Nachteile verschiedener Altersvorsorgemodelle, sondern hat andere Wünsche und Bedürfnisse.

Während die meisten Unternehmen im Finanzdienstleistungssektor glauben, dass ihre Prozesse an erster Stelle stehen, schätzen Kunden einen Service nicht aufgrund der dahinterliegenden Abläufe. Sie lassen sich nur von ihren eigenen Bedürfnissen und Wünschen leiten. Wie sie diese entwickeln und ihnen schließlich nachgehen, nennt man „Customer Journey“, den Kundenweg oder auch die Kundenreise.

Die Customer Journey umfasst alle Phasen der Kundenentscheidung für ein Produkt oder eine Dienstleistung. Sie erfasst somit alle Prozesse, Systeme und Kanäle, die bei der Erkundung verschiedener Kauf-, Verkaufs- und Investitionsmöglichkeiten genutzt werden. Dabei handelt es sich um die Analyse, Bewertung und Erstellung einer „Short List“ von Produkten und Dienstleistungen, die die Kunden interessieren. Dazu zählen natürlich auch alle Interaktionsstufen, sowohl on- als auch offline, während des gesamten Akquisitionszyklus‘ und der Zeit nach dem Kauf.

Das Wesen der Customer Journey

Die Customer Journey umfasst alle Interaktionsstufen zur Erledigung einer bestimmten Aufgabe und ist so strukturiert, dass die gesamte Kette von Anfang bis Ende gut organisiert, effizient, konsistent und personalisiert ist – mit maximalem Komfort für den Kunden.

So können etwa die Verfahren zur Eröffnung eines Bankkontos oder zum Abschluss eines Kreditvertrags aus Dutzenden von Bankprozessen bestehen, an denen verschiedene Abteilungen, Lieferanten und Partner beteiligt sind. Der Kunde sollte all diese Phasen der Interaktion als einen einzigen, etablierten und intuitiven Prozess wahrnehmen. Es hat sich gezeigt, dass eine hohe Qualität der Customer Journey einen positiven Einfluss auf die Kundenzufriedenheit und die Loyalität zum Anbieter hat. Zudem empfehlen zufriedene Kunden ein Unternehmen häufiger weiter.

Um im Wettbewerb erfolgreich zu sein, müssen Finanzdienstleister alle Interaktionspunkte mit dem Kunden sowie die dahinter liegenden Prozesse überdenken. Sie müssen Kundenengpässe überwinden, neue Optionen finden, um Kunden differenzierte Dienstleistungen anzubieten. Dazu gehört auch das Anbieten von Spitzentechnologie auf einer skalierbaren und zuverlässigen digitalen IT-Plattform, die das gesamte Serviceerlebnis modernisiert und vereinfacht.

Umsetzungsplan zur Customer Journey

Um eine solche Customer Journey zu schaffen, die ein qualitativ neues Serviceniveau erreicht, sind ein integriertes kundenzentriertes Digitalisierungskonzept, eine integrierte Datenanalyse, eine Dematerialisierung – Ersatz von Sachwerten durch intelligente Technologien –sowie die schrittweise Einführung von maschinellem Lernen und Robotisierung erforderlich.

Um diese Funktionalität zu erreichen, benötigen Finanzdienstleister jedoch keine massive IT-Transformation. Im Gegenteil, sie müssen sich auf die wichtigsten Kundenpfade konzentrieren und dort gezielt Innovationen umsetzen. Tatsächlich bietet eine kleine Anzahl von 20-30 Kundenpfaden, die in den meisten Banken am stärksten nachgefragt werden, hervorragende Möglichkeiten zur Personalisierung und Effizienzsteigerung. Bei Neukunden kann dies etwa die Eröffnung eines Girokontos oder die Überweisung auf ein neues Geschäftskonto sein. Der Service kann auch Unterstützung bei der Finanzierung einer Immobilie oder einer Umschuldung bieten. Die Finanzplanung kann eine Lösung finanzieller Probleme oder auch die Erstellung eines optimalen Anlageportfolios umfassen.

In vier konkreten Schritten können Finanzdienstleister, die Qualität ihrer Customer Journey deutlich verbessern.

Schritt 1: Übergang zur kundenzentrierten Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen

Um die Bedürfnisse und Wünsche der Kunden wirklich zu verstehen, sollten Banken viel mehr tun, als historische und demografische Daten zu sammeln und Kundensegmente zu analysieren. Es ist notwendig, das Verhalten der Kunden in ihren charakteristischen Bedingungen und Situationen zu beobachten.

Analysten-Teams, die das Verhalten von Kunden zu Hause, im Geschäft, bei der Arbeit, unterwegs usw. untersuchen, können die Bedürfnisse, Wünsche und Vorlieben der Kunden aufdecken und nicht nur bestimmen, wie sie die Wahl der Produkte und Dienstleistungen treffen, sondern auch, was sie nervt. Nach Erhalt dieser Informationen kann ein Customer-Journey-Team ein Brainstorming durchführen. Im Anschluss kann ein „Minimum Viable Product“ (MVP) entwickelt und implementiert werden, um die wichtigsten Kundenpfade zu transformieren.

Schritt 2: Umfassende Modernisierung von Prozessen

Die allerbesten Kundenpfade genügen höchsten Ansprüchen. Hierbei kommt es vor allem darauf an, nicht auf Standardlösungen zurückzugreifen, sondern bewährte Verfahren in verwandten Sektoren aufzugreifen und fortschrittliche Technologien zu verwenden.

Sobald das Ziel feststeht, beginnen bereichsübergreifende Teams aus Produktmanagern, Designern, Customer-Experience-Spezialisten, Programmierern und vielen anderen mit dem agilen Aufbau eines MVP. Die optimale Balance zwischen geforderter Funktionalität, erforderlichem Kapitaleinsatz, vorhandenem Know-how und erwartetem Gesamtnutzen definiert letztendlich den Zielkorridor.

Nachdem die Teams „live“ gegangen sind, verfeinern sie das Produkt, indem sie in schnellen, aufeinander folgenden Zyklen immer wieder Verbesserungen vornehmen. Und zwar solange, bis alle Elemente der Customer Journey die vordefinierten Anforderungen erfüllen. Parallel dazu wird die Backoffice-Funktionalität entwickelt, um einen reibungslosen Ablauf des gesamten Prozesses zu gewährleisten. Auch Betriebs- und Servicekomponenten müssen modernisiert werden, um die Organisationsstruktur und die zugrunde liegenden Geschäftsprinzipien aufeinander abzustimmen. In vielen Fällen ermöglicht diese Art der komplexen Prozess-Transformation Finanzdienstleistungsunternehmen, den Entwicklungsprozess für neue Funktionalitäten von mehreren Monaten auf wenige Wochen zu verkürzen.

Schritt 3: Digitalisierung, maschinelles Lernen und Robotik

Kognitive Tools, die in der Lage sind, große Datenmengen zu verarbeiten und komplexe Analysen nahezu in Echtzeit durchzuführen, ermöglichen die Entwicklung einer personalisierten Customer Journey. Hierbei werden hochpräzise Erkenntnisse und Vorhersagen verwendet, die es Finanzdienstleistern ermöglichen, fundierte Entscheidungen für ihre Kunden zu treffen.

Im Bankensektor tragen solche Tools dazu bei, die Interaktionsqualität in verschiedenen Abteilungen, sei es im Callcenter, in der Bonitätsprüfungsabteilung oder in der Privatkundenbereich, deutlich zu verbessern. Viele dieser Tools wurden entwickelt, um vordefinierte Verfahren basierend auf fortschrittlichen Bewertungs- und Entscheidungstechnologien durchzuführen. Und weil diese Werkzeuge lernfähig sind, werden Entscheidungen und Schlussfolgerungen umso genauer, je häufiger sie eingesetzt werden.

Auch im Investmentsektor ermöglichen Vorausschauende-Analytik-Plattformen Beratern, Portfolios an politische, wirtschaftliche und andere Faktoren anzupassen und Analysten dabei zu helfen, detaillierte Modelle in Minuten, statt in Tagen zu erstellen.

Schritt 4: Optimierung der Organisationsstruktur

Für eine umfassende Transformation der gesamten Customer Journey ist es notwendig, eine Zusammenarbeit zwischen Technologie und Geschäftsbereichen innerhalb eines Unternehmens zu etablieren. Unterschiede in den Berichtshierarchien in funktionsübergreifenden Teams und schnelle Anpassungszyklen können neue Fähigkeiten, Talente, Belohnungssysteme und Metriken (KPIs) erfordern, die sich erheblich von herkömmlichen unterscheiden können. Finanzunternehmen können eine Vielzahl von Ressourcen nutzen, um die Zusammenarbeit aufzubauen und Innovationen im gesamten Unternehmen zu steigern, etwa mit Hilfe von Innovationslaboren.

Ganz wichtig: Ohne die Unterstützung der Geschäftsleitung läuft gar nichts.

Womit beginnen?

Das Konzept der Customer Journey impliziert eine grundlegende Veränderung der Denk- und Arbeitsweise im Bankensektor.

Digitale Marktführer im Finanzsektor und anderen Branchen entwickeln Produkte und Dienstleistungen basierend auf der Customer Journey, um das Kundenerlebnis radikal zu verbessern, ihre eigene Marke zu differenzieren und das Wachstum voranzutreiben. Dafür werden erhebliche Summen investiert. Um mit der Transformation zu beginnen, sollten Finanzinstitute folgende Schritte ausführen:

1. Berechnen Sie mögliche Vorteile

Es ist äußerst wichtig, sich ein anspruchsvolles Ziel zu setzen und es dann durch eine detaillierte Berechnung des potenziellen Nutzens zu begründen. Diese Bewertung sollte alle Wachstumschancen berücksichtigen, einschließlich verstärktem Cross-Selling, neuen Mehrwertdiensten und erhöhter Marktpräsenz durch bessere Datennutzung. Ferner Kosten- und Betriebsoptimierung durch schnellere Zykluszeiten, stärkere Automatisierung und last but not least die Umschichtung von Arbeitskräften.

2. Führen Sie eine objektive Bewertung durch

Finanzinstitute sollten ihre Tools und Technologien kritisch bewerten und überlegen, wie effektiv sie ihr Ziel einer Modernisierung der Customer Journey erreichen. Diagnose, Analyse vorhandener Daten und IT-Systeme, Erstellung einer qualifizierenden Liste von Kenntnissen und Fähigkeiten, Benchmarking mit Wettbewerbern und andere Bewertungen können Segmente der digitalen IT-Plattform identifizieren, die Investitionen erfordern. Bereiche, die das Finanzunternehmen verbessern, benötigen eine Zusammenarbeit mit anderen Organisationen, um schnell die erforderlichen Fähigkeiten und Ressourcen aufzubauen.

3. Erfolg visualisieren

Eine Vision zu definieren ist eine Sache, sie zu verinnerlichen und schnell umzusetzen eine ganz andere. Die Implementierung eines kundenzentrierten Ansatzes verändert die Berichtsmethoden, Benchmarks und leistungsbasierten Anreize. Es ist notwendig, interne Richtlinien an diese Veränderungen anzupassen und die Unternehmenskultur des Unternehmens zu ändern.

Diejenigen, die sich auf eine Transformation einlassen, die Kundenpfade neu denken, digitale Tools und kundenzentrierte Designprinzipien implementieren, um die Kundenzufriedenheit in allen Phasen des Service zu verbessern, werden schließlich ihre Konkurrenz deutlich übertreffen. Der Rest muss entweder aufholen oder den Markt ganz verlassen.

Fazit – Digitalisierung der Banken

Das Thema Digitalisierung des Bankensektors wurde in den letzten Jahren weltweit breit diskutiert. Allerdings ist es oft nicht die Technologie, die den Digitalisierungsprozess verlangsamt, sondern die traditionelle Bankenkultur, aufgrund derer viele Geldinstitute mit der Umsetzung bahnbrechender digitaler Innovationen zu spät kommen. In diesem Sinne ist gerade der Prozess der Kundeninteraktion, der Customer Journey, eines der kritischsten Glieder für die digitale Optimierung einer Bank. Der moderne Verbraucher möchte, dass eine digitale Bank ihm ganzheitliche, anpassbare und interaktive Funktionen bietet, die es ihm ermöglichen, seine Finanzen schnell, bequem und einfach zu verwalten.

Schaut man sich andere B2C-Branchen im globalen Maßstab an, dann wird die Messlatte für die Qualität des Kundenservices heute von führenden Unternehmen der „New Economy“ wie Amazon, Uber, Airbnb definiert. Sie schaffen es, die Bedürfnisse des Kunden vollständig zu erfüllen, da sie die Interaktion mit ihm im Rahmen eines ganzheitlichen und intuitiven Prozesses aufbauen.

Dennoch zeigen auch neue FinTech-Unternehmen bereits erfolgreiche Beispiele für ganzheitliche Kundeninteraktionen – obwohl der Hype um die FinTech-Branche bereits nachgelassen hat und niemand erwartet, dass FinTechs das traditionelle Bankgeschäft vollständig ersetzen werden. Diese neuen Player bieten den Kunden die gleichen Produkte wie klassische Banken, jedoch in einem vollintegrierten Prozess, das heißt, sie sind viel schneller und oder günstiger.

Es ist an der Zeit, schnell und entschlossen zu handeln.

Inga Schmidt has specialized in the topic of the Internet since 2005 and has built up extensive knowledge in this area during her professional career at various companies, such as online marketing agencies and management consultancy for digital transformation. She focuses on consulting and operational implementation of online marketing for companies of various sizes and areas of activity.

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