Mit Experimenten zu validierten Geschäftsideen

Wie man systematisch das Risiko von neuen Geschäftsideen reduziert

Für die Durchführung von Experimenten zum Testen von Geschäftsideen muss niemand zum Wissenschaftler werden. Dennoch gibt es ein paar Grundprinzipien zu beachten. In diesem Artikel erörtere ich, warum das Validieren von Geschäftsideen wichtig ist und wie Experimente am wirksamsten umgesetzt werden.

Warum sollte ich mich für Experimente interessieren?

Unternehmen leben und sterben mit der Fähigkeit, neue und profitable Geschäftsmöglichkeiten zu entdecken, fortwährend Nutzen für Kunden zu liefern und sich den verändernden Marktbedingungen anzupassen. Angesichts neuer Technologien, wie beispielsweise Künstlicher Intelligenz, Blockchain und 5G-Netzwerken, können wir in den nächsten 10 Jahren mehr Veränderungen und somit auch mehr neue Geschäftsmöglichkeiten erwarten als in den letzten 40 Jahren [1].

Zugleich führt jedoch nicht jede neue Geschäftsidee automatisch zu einem profitablen Geschäftsmodell. Zu viele Ideen werden vorzeitig umgesetzt, weil sie in Präsentationen und Business-Plänen gut aussehen und auf angesagten Technologien basieren. Übersehen wird dabei, dass nicht alles, was gebaut werden kann, auch gebaut werden sollte. Vielmehr ist es entscheidend, das zu bauen, was der Kunde auch tatsächlich möchte. Dass dies nicht immer beachtet wird, verdeutlichen beispielsweise Flopraten zwischen 70 und 90% bei Neuprodukten [2].

Einer Geschäftsidee ist zu Beginn nicht anzusehen, ob sie eine gute oder eine schlechte Idee ist. Und trotz einer Flut an verfügbaren Informationen fehlen Managern in der Regel die richtigen Daten, um den Unterschied zu erkennen. Stattdessen werden Entscheidungen auf Basis von Erfahrungen, Überzeugungen und Bauchgefühl getroffen. Gerade bei wirklich innovativen Ideen zeigt sich jedoch, dass diese häufig keine hilfreiche Grundlage bilden und somit falsche Entscheidungen getroffen werden. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass die finale Umsetzung der Ideen in der Zukunft liegt und durch eine Vielzahl an Einflussfaktoren bedingt ist. Der Erfolg ist somit immer mit Unsicherheit und dem Risiko des Scheiterns verbunden. Daher ist es erforderlich, sich der zentralen Einflussfaktoren bewusst zu sein, die entscheidend dafür sind, dass eine Geschäftsidee erfolgreich sein wird, und welche Annahmen wir bezüglich dieser Einflussfaktoren treffen. Mit anderen Worten, was müsste wahr sein, damit die Idee zum Erfolg wird?

An dieser Stelle setzt das Testen von Geschäftsideen an. Ziel ist es, mittels der Durchführung von Experimenten die wesentlichen Annahmen einer Geschäftsidee in Form von Hypothesen zu testen und hierdurch systematisch die Unsicherheit und das Risiko der Idee zu reduzieren. Auch wenn bei Business Experimenten nicht die gleichen strengen statistischen Anforderungen anzusetzen sind wie bei wissenschaftlichen Experimenten, sind trotzdem einige Grundprinzipien zu beachten.

Grundprinzipien des Testens von Geschäftsideen

Die wesentlichen Annahmen transparent machen und testen

In vielen Unternehmen wird keine neue Geschäftsidee genehmigt, wenn nicht vorher ein Business Plan erstellt worden ist. Unabhängig davon, wie viel Zeit für die Erstellung des Business Plans aufgewendet worden ist, letzten Ende basiert jeder Business Plan auf einer Vielzahl an Annahmen. So lange diese nicht transparent gemacht werden, ist ein Business Plan keine Hilfe bei der Abschätzung des Wertes und des Risikos der Geschäftsidee. Vielmehr stellt der Business Plan lediglich dar, was wir glauben – ohne jedoch Informationen darüber zu liefern, wie wahrscheinlich dieser Fall ist.

Für die Ermittlung der wesentlichen Annahmen möchte ich drei Vorgehensweisen vorstellen, die sich gegenseitig ergänzen:

  • Storyboards
    In Storyboards wird der Ablauf von Ereignissen der neuen Geschäftsidee visuell dargestellt. Beispielsweise könnten die Annahmen bezüglich einer Produktinnovation anhand der einzelnen Phasen der Customer Journey erhoben werden. Hierzu ist die Frage zu beantworten „Was müsste passieren, damit der Kunde in die nächste Phase des Kauf- bzw. Nutzungsprozesses eintritt?“
  • Annahmen-Workshop
    In einem Team-Workshop werden die wesentlichen Annahmen einer Geschäftsidee explizit gemacht und anschließend priorisiert. Die Annahmen können danach unterschieden werden, (1) ob die Idee vom Kunden gewünscht wird, (2) ob die Idee umsetzbar ist und (3) ob die Idee wirtschaftlich ist. Die Priorisierung der Annahmen wird mit einer sogenannten „Assumptions Map“ durchgeführt. In dieser werden die Annahmen in einer Matrix auf Basis der vorhandenen Beweise für eine Annahme sowie der jeweiligen Wichtigkeit der Annahme positioniert werden. Die Durchführung der Experimente konzentriert sich anschließend auf diejenigen Annahmen, die von hoher Wichtigkeit sind und bei denen wenig Beweise vorliegen. Sollten die Experimente zeigen, dass diese Annahmen falsch sind, so ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass die gesamte Geschäftsidee nicht das erhoffte Ergebnis bringt [3].
  • Business-Modelle mit Monte Carlo-Simulation
    Die Monte-Carlo-Simulation ist ein Verfahren aus der Stochastik, mit der die möglichen Auswirkungen von Unsicherheit abgeschätzt werden. Im Zusammenhang mit dem Validieren von Geschäftsideen helfen sie die besonders sensiblen und wichtigen Elemente des Modells zu identifizieren. Da Monte Carlo-Simulationen auch in Tabellenkalkulationsprogrammen (wie z. B. Microsoft Excel oder Google Sheets) durchgeführt werden können, bieten sie einen schnellen und unkomplizierten Weg, um die finanziellen Auswirkungen von Unsicherheit zu simulieren [4].

Annahmen als falsifizierbare Hypothesen formulieren

Um die wichtigsten Annahmen testen zu können, werden sie in Form einer Hypothese aufgeschrieben, in der eine Voraussage über zukünftige Geschehnisse getroffen wird. Die Hypothese sollte präzise formuliert sein und ein klares Maß für den Erfolg beinhalten. Darüber hinaus gilt das Prinzip der Falsifizierbarkeit. Dies besagt, dass eine Hypothese nur widerlegt, aber nicht belegt werden kann, da nicht auszuschließen ist, dass sie sich nicht doch noch als falsch erweist. Hat man in seinem Leben beispielsweise bislang nur weiße Schwäne gesehen, so könnte behauptet werden, dass alle Schwäne weiß sind. Ein einziger schwarzer Schwan würde dies aber sofort widerlegen [5].

Eigene Daten sind besser als fremde Daten

Ziel der Durchführung von Experimenten ist die Erhebung von Daten, aus denen Lehren gezogen werden können, wie mit der Geschäftsidee weitergemacht werden soll. Dabei sollte man sich nicht alleine auf Daten aus fremden Quellen verlassen, sondern stattdessen eigene Daten erheben. Der Vorteil eigener Daten besteht zum einen in ihren hohen Relevanz und Aktualität, da sie speziell für die zu bewertende Geschäftsidee gewonnen werden. Zum anderen lässt sich die Beweiskraft und die Vertrauenswürdigkeit der Daten besser beurteilen. Die hierfür durchzuführenden Experimente können dabei oftmals sogar leichter und schneller durchgeführt werden, als nach passenden Daten aus fremden Datenquellen zu suchen und diese zu bewerten [6]. Bei wirklich neuartigen Ideen liegen darüber hinaus oftmals auch noch gar keine externen Daten vor.

Am Anfang schnell und günstig testen

Ist der Unsicherheitsgrad bei einer Annahme sehr hoch, so sind nur sehr wenige Informationen erforderlich, um diese Unsicherheit deutlich zu verringern. Daher reichen anfangs auch kleine Experimente mit geringen Stichprobengrößen aus [7]. Wichtig ist, dass sie schnell und kostengünstig durchgeführt werden können.

Im Zusammenhang mit dem Testen von Geschäftsideen existieren zahlreiche Begriffe für das Objekt, mit dessen Hilfe die Idee getestet werden kann. Während Eric Ries beispielsweise von einem Minimal Viable Product (MVP) spricht [8], führt Alberto Savoia den Begriff des Pretotyping ein, eine Wortkombination aus „pretended“ und „Prototyping“, also ein „vermeintlicher Prototyp“ [9]. Unabhängig von der Begriffswahl ist es wichtig zu beachten, dass für das Testen von Geschäftsideen kein funktionierendes Produkt und kein funktionierender Prototyp existieren müssen. Vielmehr sollte das Kleinste, Schnellste und Günstigste eingesetzt werden, mit dem eine Hypothese überprüft werden kann. Dies kann beispielsweise ein Datenblatt, eine Informationsbroschüre oder ein Produktvideo sein.

Oftmals ist ein Experiment nicht genug, um die Unsicherheit hinsichtlich der relevanten Annahmen ausreichend zu reduzieren. Mit weiteren Experimenten sollte die Unsicherheit so weit reduziert werden, bis eine ausreichende Gewissheit vorliegt, dass die Geschäftsidee tatsächlich funktioniert. Dabei sind erst mit abnehmender Unsicherheit und in einem späteren Umsetzungsstadium der Geschäftsidee teurere Experimente erforderlich [10].

Die Durchführung von Experimenten ist nicht auf neue Produkte beschränkt

Das Durchführen von Experimenten wird in der Regel im Zusammenhang mit der Entwicklung von Produktinnovationen und neuen Geschäftsmodellen besprochen. Die dahinter liegenden Prinzipien können jedoch auch auf Unternehmens-interne Ideen angewendet werden (z. B. Digitalisierung interner Prozesse oder Einführung neuer IT-Tools), insbesondere wenn diese mit hohen finanziellen und zeitlichen Investitionen verbunden sind. Somit stellt des Testen von Geschäftsideen einen systematischen und allgemein in Unternehmen anwendbaren Ansatz zur Reduzierung von Unsicherheit und des Risikomanagements dar [11].

Experimente sind kein Selbstzweck, sondern unterstützen Entscheidungen

Experimente sind notwendig, um die Unsicherheit neuer Geschäftsideen zu reduzieren und Entscheidungen zu treffen. Hierzu können die Daten und Lehren aus dem Experiment beispielsweise in das bereits für die Identifizierung der wichtigsten Annahmen verwendete Business-Modell übertragen werden.

Insbesondere wenn mehrere Experimente zu einer Vielzahl an Geschäftsideen durchgeführt werden, bietet es sich an, diese in einem Experimente Canvas zu erfassen und hier den Fortschritt zu verfolgen [12]. In diesen werden nicht nur die Annahmen und die durchgeführten Experimente festgehalten, sondern auch die zugehörigen Entscheidungen: Wird die Idee weiterverfolgt, findet ein Kurswechsel (Pivot) statt oder wird das Projekt abgebrochen?

Fazit zu Geschäftsidee-Experimenten

Das Risiko neuer Geschäftsideen wird durch das Durchführen von Experimenten radikal reduziert. Anstatt viel Zeit und Geld in die Umsetzung einer Idee zu investieren, die am Ende niemand braucht und nutzt, wird zunächst schnell und kostengünstig untersucht, ob die Idee überhaupt umgesetzt werden sollte.

Viele Unternehmen stehen dabei noch am Anfang eines Umdenkprozesses hin zu mehr Experiment-basierten Entscheidungen. Als Ausblick auf das Potential und die Wirksamkeit von Experimenten dient abschließend ein Vergleich der Aktienkurse von Unternehmen, bei denen das permanente Durchführen von Experimenten ein fester Bestandteil der Unternehmenskultur ist (z. B. Google, Amazon und Microsoft) und des Aktienindex S&P 500. Die Kursentwicklung der Experiment-Unternehmen, die mehrere 1.000 Experimente pro Jahr durchführen, übertraf den S&P 500 dabei um mehr als das 10-fache [13].

Auch wenn es bis zu diesen Top-Experiment-Unternehmen noch ein langer Weg ist. Entscheidend ist es anzufangen. Manchmal sind die Experimente erfolgreich und bestätigen die Annahmen. Und manchmal nicht. Aber aus jedem Experiment kann etwas gelernt werden, um die Geschäftsidee weiterzuentwickeln.

Referenzen

[1] Steve Brown, The Innovation Ultimatum: How Six Strategic Technologies Will Reshape Every Business In The 2020s, 2020.
[2] Alberto Savoia, The Right It: Why So Many Ideas Fail and How to Make Sure Yours Succeed, 2019.
[3] David J. Bland / Alex Osterwalder, Testing Business Ideas, 2020.
[4] Jez Humble / Joanne Molesky / Barry O´Reilly, Lean Enterprise: How High Performance Organizations Innovate at Scale, 2015.
[5] Ash Maurya, Scaling Lean: Mastering the Key Metrics for Startup Growth, 2016.
[6] Alberto Savoia, The Right It: Why So Many Ideas Fail and How to Make Sure Yours Succeed, 2019.
[7] Douglas W. Hubbard, How to Measure Anything: Finding the Value of „Intangibles“ in Business, 3. Edition, 2014.
[8] Eric Ries, The Lean Startup: How Constant Innovation Creates Radically Successful Businesses, 2011.
[9] Alberto Savoia, The Right It: Why So Many Ideas Fail and How to Make Sure Yours Succeed, 2019.
[10] David J. Bland / Alex Osterwalder, Testing Business Ideas, 2020.
[11] Jez Humble / Joanne Molesky / Barry O´Reilly, Lean Enterprise: How High Performance Organizations Innovate at Scale, 2015.
[12] Bruno Pešec, Visual tools for experimentation and innovation accounting, https://www.pesec.no/visual-tools-for-experimentation-and-innovation-accounting, 2020.
[13] Stefan H. Thomke, Experimentation Works: The Surprising Power of Business Experiments, 2020.

Marcus is an entrepreneur, consultant, trainer and facilitator. As managing director of zagmates, he helps companies to thrive on their journey of strategic growth and innovation. In addition, Marcus is CEO of Boardle.io - the leading independent portal for online workshop templates. He is passionate about strategic foresight, business modelling and measurement, making ideas tangible and focusing on their impact. Prior, he had been working for more than 15 years in leading positions in international industrial companies focused on marketing, sales, business development and product management.

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