Zurück in die Zukunft – Prozesse optimieren in 3 Schritten

So kommen Sie vom Reagieren wieder ins Agieren

Ständig auf Veränderungen zu reagieren ist anstrengend. Beginnt die nächste Änderung schon, bevor die vorherige so richtig abgeschlossen ist, kann das ganz schön holpern. Hier erfahren Sie, wie Sie mit dem Tool der Retrospektive Situationen stabilisieren, Prozesse optimieren und wieder ins Agieren kommen.

Die Retrospektive als Teil agiler Vorgehensweisen ist nichts völlig Neues. Als Lessons Learned wurden Retrospektiven – wenn auch ungern – meist zum Abschluss von Projekten durchgeführt.

Heute fokussiert die Retrospektive stärker auf Verbesserungs- und Effizienzpotenziale statt auf Mängel und nicht erreichte Meilensteine. Und sie lässt sich auch wunderbar für Zeitabschnitte und Abläufe außerhalb eines Projekts einsetzen.

Hintergrund

Die Retrospektive als Form des Lernens aus Erfahrungen verdankt ihre Popularität der agilen Vorgehensweise Scrum. In Scrum entwickelt ein interdisziplinäres Team ein Produkt (ursprünglich Software), dessen Entwicklungsstadien in kurzen Zyklen („Iterationen“) einsetzbar ausgeliefert werden. Am Ende jedes Zyklus blickt das Team zurück und fragt sich, was sie daraus für den nächsten Zyklus lernen wollen.

Scrum verwendet viele Elemente aus dem Lean Management, so auch hier: Zu den Praktiken der kontinuierlichen Verbesserung gehört es, best practices für die auszuführenden Tätigkeiten zu finden, sich im Team darüber auszutauschen und diese weiter zu entwickeln (Kaizen).

Dieser Ansatz findet sich auch in der Retrospektive wieder, was eine offenere Perspektive und damit auch das Ausbauen positiver Erfahrungen ermöglicht.

Ablauf der Prozessoptimierung

Vorbereitung

Die Retrospektive beschäftigt sich mit einer bestimmten Aufgabenstellung, z.B. einem Projektabschnitt oder den Abläufen eines Vorgangs. Das Thema wird dabei immer aus drei Blickwinkeln betrachtet:

  • Positives/Förderndes: Was war gut und soll beibehalten werden?
  • Negatives/Blockierendes: Was war nicht gut und soll abgestellt werden?
  • Potenzial/Stärkendes: Was könnte sonst noch verbessert werden?

Diese Vorbereitungen helfen, am Ende auch mit konkreten Maßnahmen aus der Retrospektive zu kommen:

  • Zerteilen Sie umfangreiche Themen lieber in mehrere kleine: Statt „Rückblick auf 1 Jahr Corona-Maßnahmen“ lieber „Rückblick auf 1 Jahr Abstand- und Hygiene-Maßnahmen in der Produktion“, „… Home-Office in der Kundenbetreuung“, „… Wechsel-Schichten im Personalbereich“ usw.
  • Dasselbe gilt bei der Gruppengröße: Teilen Sie eine große Gruppe so auf, dass sich kleinere Gruppen von 3-8 Personen auf Teil-Themen fokussieren.
  • Die Retrospektive kann sowohl in Präsenz als auch virtuell erfolgen. Wichtig ist in beiden Fällen:
    • Wählen Sie Ort und Zeit so, dass Störungen verhindert werden, die Teilnehmenden sich auf den Workshop konzentrieren können und nicht versucht sind, sich nebenbei um anderes zu kümmern. Legen Sie einen virtuellen Termin beispielsweise nicht in typische Familien-Zeiten.
    • Außerdem brauchen Sie ein gemeinsam zu bearbeitendes Board, in Präsenz mit Klebezetteln und Stiften, ansonsten ein virtuelles Whiteboard (Auswahl: s. Brainstorming-Tools).
    • Weitere Tipps für virtuelle Workshops von Anfang an finden Sie hier.
  • Eine professionelle Moderation durch eine nicht zum Team gehörende Person hat folgende Vorteile:
    • Neutralität sorgt für ein entspanntes Klima mit gleichmäßigerer Beteiligung und besser abgewogenen Resultaten.
    • Teilnehmer können sich ganz auf Inhalte fokussieren.
    • Rückfragen aus einer Außenperspektive verbessern die Klarheit.
    • Professionelle Gesprächsführung mit klaren Strukturen liefert qualitativ hochwertige Resultate in kurzer Zeit.

Phase 1: Informationen sammeln

  • Die Gruppe stellt zunächst als Einstimmung einen gemeinsamen Kenntnisstand her: Um welchen Zeitraum geht es, welche Aspekte des Themas schauen wir uns an?
  • Alle notieren für sich Erlebnisse und Erfahrungen, die für sie bemerkenswert waren.
  • Sammeln Sie die Notizen am Board. Wenn es sich um einen längeren Zeitraum handelt, können diese Notizen z.B. in einer Ereignis-Zeitleiste (s. Abbildung) gesammelt werden.
  • Um Stimmungen einzufangen und später auch mit den Erlebnissen zu verbinden, können die Team-Mitglieder unter der Zeitleiste zusätzlich eine Stimmungskurve zeichnen (s. Abbildung).
  • Retrospektive Phase 1 - Informationen Sammeln
    Beispiel für die Sammlung von Informationen über eine Customer-Journey – Quelle: Eigene Darstellung

    Die Notizen werden kurz einzeln der Gruppe vorgestellt und erklärt.

Phase 2: Erkenntnisse gewinnen

Eine besonders einfache Form der Retrospektive ist „Start – Stop – Continue“. Sie liefert in 3 Schritten überraschend schnell erste Erkenntnisse:

  1. Bilden Sie auf dem Board die drei Spalten Start – Stop – Continue
  2. Die Gruppe fragt sich nun zu jeder Notiz:
    • Wollen wir damit weitermachen (Continue) oder aufhören (Stop)? Die Notiz wird in die entsprechende Spalte verschoben.
    • Was hat diese Erfahrung verursacht? Was müssen wir tun, um sie fortzusetzen oder abzustellen? Die Antworten werden zu der Notiz hinzugefügt.
    • Was können wir noch tun, um Positives zu verstärken oder Negatives zu verhindern? Diese Punkte kommen in die Spalte „Start“.
  3. Gruppieren Sie die Notizen thematisch, wenn es ansonsten zu unübersichtlich wird.

Natürlich können Sie Erlebnisse auch einfach so stehen lassen, also keiner der drei Kategorien zuzuordnen, wenn das Team den Punkt nicht beeinflussen kann oder er sich nicht auf das Team übertragen lässt.

Z.B. muss aus der Notiz “Ich habe endlich wieder Zeit zum Joggen vor der Arbeit“ ja nicht gleich eine Maßnahme für alle Team-Mitglieder folgen. Wenn es aber mehrere gleichartige Notizen gibt, könnte dies z.B. zusammengefasst werden zu der Erkenntnis „Uns gefällt es, bei gleicher Arbeitszeit die Freizeit besser nach unseren Vorstellungen nutzen zu können“. Und daran könnte sich die Frage anschließen, wie dieser Pluspunkt auch zukünftig erhalten bleiben kann.

Phase 3: Maßnahmen vereinbaren

Nachdem auf diese Weise alle Erkenntnisse bearbeitet sind, geht es in der letzten Phase darum, Maßnahmen zur Verstärkung, Vermeidung oder zu neuen Punkten zu vereinbaren:

  • Die Gruppe bestimmt, welche Punkte am wichtigsten sind. Am einfachsten geht dies mit einer Punkte-Abfrage, bei der alle die ihnen wichtigsten 3-5 Einträge markieren. Daraus ergibt sich eine Priorisierung der Themen.
  • Für die wichtigsten 5-10 Themen (je nach Gruppengröße und Anzahl der Themen) stimmen Sie nun ab:
    • Was sind die ersten Schritte, um dieses Thema umzusetzen? Wichtig hierbei ist, sich nicht in Detail-Diskussionen der Einzelschritte zu verzetteln. Wenn der Umsetzungsweg noch zu diffus ist, wäre der erste Schritt, dass ein kleines Team eine Umsetzungsvorschlag erarbeitet.
    • Wer übernimmt das Thema?
    • Bis wann soll das umgesetzt sein (oder bei größeren bzw. unklareren Themen: bis wann soll die Gruppe mit neuen Informationen die nächsten Schritte vereinbaren)?

Mit diesen konkreten Verbesserungsschritten für die Zukunft ist die Retrospektive abgeschlossen. Vereinbaren Sie schon jetzt einen Folgetermin, das erhöht den Anreiz, die Maßnahmen auch tatsächlich umzusetzen.

Tipps & Variationen

Schuldzuweisungen verhindern

Es kann immer wieder passieren, dass sich die Gruppe bei der Frage nach den Ursachen in Schuldfragen verzettelt. Fokussieren Sie in diesen Situationen auf Sachverhalte statt auf die handelnden Personen:

  • Wenn jemand etwas falsch gemacht hat: Wie ließe sich das vermeiden?
  • Fragen Sie weiter nach dem Warum (bis zu 5x), um zum Auslöser zu gelangen: Da ist einer Person ein Fehler passiert. Warum? Weil die Person abgelenkt war. Warum? Weil die Bürosituation so ist, dass man sich schwer konzentrieren kann. Usw.

Positives verstärken

Gerade in der Kategorie „Continue“ ist es verlockend, das „weiter so“ stehen zu lassen. Einen Mehrwert entwickelt die Methode, wenn Sie auch in diesen Punkten weiter fragen:

  • Wie stellen wir sicher, dass es so bleibt?
  • Kann das Ausgangspunkt für noch besseres sein?

Auf Zukünftiges fokussieren

Gerade wenn viele negative Erlebnisse schwierig mit Einzelmaßnahmen abzustellen sind, kann eine variierte Fragestellung nützlich sein. Statt zu fragen: „Was war positiv oder negativ?“ könnte man stärker nach vorn schauen:

  • Welches Ziel haben wir in dem ganzen Thema eigentlich?
  • Was könnte uns helfen, was könnte uns hindern, dieses Ziel zu erreichen?
  • Was können wir tun?

Zeit nehmen

Die richtige Dauer lässt sich nicht pauschal vorgeben. Für ganz kleine Fragen und Gruppen (z.B. die Erfahrungen aus dem 2-wöchigen Ausprobieren einer neuen Chat-Anwendung) reichen 1 bis 1,5 Stunden völlig. Wenn die Retrospektive einen ganzen Tag dauert, ist sie auf jeden Fall zu lang. Bei virtuellen Retrospektiven müssen außerdem häufiger Pausen eingeplant werden.

Legen Sie den Hauptteil der Zeit in die Erkenntnis-Gewinnung. Das Sammeln der Informationen kann schon in 15 Minuten erledigt sein, wenn das Thema allen noch sehr gegenwärtig und nicht umfangreich ist.

Kürzen Sie aber auf keinen Fall ab, indem das Vereinbaren der Maßnahmen verschoben wird, weil dann die bis dahin investierte Zeit verschenkt war. Bei sich abzeichnender Zeitknappheit verschieben Sie lieber einzelne Themenbereiche aus der Phase 2 in eine spätere Retrospektive und bearbeiten dann nur eine Teilmenge – dafür aber einschließlich der Maßnahmen – zu Ende.

Fazit

Retrospektiven sind ein einfaches Mittel, um aus Erfahrungen zu lernen und positive Entwicklungen als Sprungbrett für eine Verstetigung der Verbesserung zu verwenden.

Sie geben Gelegenheit, Qualität der Leistungen bzw. Produkte zu verbessern ohne große Change-Projekte anstoßen zu müssen.

Gleichzeitig fördern sie den Team-Zusammenhalt und das Vertrauen und erleichtern dadurch die Zusammenarbeit und das Lernen im Team.

So können Sie der ständigen Veränderung oft sogar einen Schritt voraus sein. Probieren Sie es aus!

Corinna Hischke ist Diplom-Informatikerin mit ungewöhnlich vielseitigem Background. Als Expertin für Team-Prozesse kombiniert sie People-Skills mit Organisation auf digitalem Insider-Niveau. Über Workshops, Coaching und Beratung liefert sie inspirierende Impulse und praxisnahes Know-How für Führungskräfte, immer mit dem Fokus auf Umsetzbarkeit im jeweiligen Umfeld.

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