Krypto-Anlagen: Auf den inneren Wert kommt es an

Wertorientiertes Investieren in Krypto-Anlagen - wie trenne ich die Spreu vom Weizen, resp. Scam von Substanz?

Als Anlageinstrument wird „Krypto“ heute kaum verstanden. Krypto ist ganz offenbar nicht Krypto und die Positionen darüber, was gilt, weichen mitunter diametral voneinander ab selbst unter ausgewiesenen Autoritäten. Das führt unter Experten, mehr noch in der Allgemeinheit, zu grosser Verunsicherung. Dieser Artikel soll etwas Licht in den Krypto Nebel bringen und helfen, Krypto-Scam von Krypto-Wert zu unterscheiden. Es wird gezeigt, welche Krypto-Anlagen und Krypto-Token einen inneren Wert besitzen und wie dieser künftig mittels Ansätzen der Fundamentalwert-Analyse bemessen werden könnte. Die beiden grössten und ältesten Kryptos, BTC (des Bitcoin-Netzwerks) und ETH (des Ethereum Netzwerks), dienen dabei als Bezugspunkte und Beispiele.

1. Krypto-Anlagen: Licht und Schatten

„Eine Kryptowährung ist keine Währung, keine Ware und kein Wertpapier, … Es ist ein Glücksspielvertrag mit einem fast 100-prozentigen Vorteil für die Bank“. Es ist „verrückt, dumm, Glücksspiel“ und „Leute, die sich meiner Position widersetzen, sind Idioten“, so Charlie Munger im Februar 2023.[1]

Diese Kryptowährung ist „… missverstanden …“. Sie kann „eine Versicherungspolice gegen Finanzkatastrophen sein, …“, weil sie „nicht mit dem Rest des Finanzsystems verbunden ist“, so Bill Miller im Oktober 2022 über Bitcoin.[2]

Diese konträren Positionen decken etwa das Meinungs-Spektrum über Kryptowährungen als Investitionsinstrument ab. Beide stammen von erfahrenen, über Jahrzehnte erfolgreichen Investoren, die sich nach derselben, massgeblich von Warren Buffet mitgeprägten, wertorientierten und langfristigen Anlagephilosophie richtet: „Value Investing“.

Sie zeigen aber auch ein Problem deutlich: Krypto ist ganz offenbar nicht Krypto; Positionen weichen mitunter diametral voneinander ab. Das wiederum führt unter Experten, mehr noch in der Allgemeinheit, zu grosser Verunsicherung. Gerade wenn sich Autoritäten, denen man Expertise und verantwortliches Handeln attestiert, derart widersprüchlich äussern, wird nicht mehr verstanden, was gilt, respektive ob und wem man glauben darf. Pointierte Äusserungen wie von Charlie Munger führen bei der Allgemeinheit zu „FUD“ (Fear-Uncertainty-Doubt): Eine in vielen Bereichen nutzbringende, aber komplexe Materie wird nicht mehr verstanden.

Dieser Artikel soll etwas Licht in Krypto Nebel bringen und helfen, Krypto-Scam von Krypto-Value zu unterscheiden. Es wird gezeigt, welche Kryptowährungen einen inneren Wert besitzen und wie dieser künftig mittels Ansätzen der Fundamentalwert-Analyse bemessen werden könnte. Die beiden grössten und ältesten Kryptos, BTC (des Bitcoin-Netzwerks) und ETH (des Ethereum Netzwerks), dienen dabei als Bezugspunkte und Beispiele.

2. Kryptos mit und ohne inneren Wert

Der Begriff «Krypto» ist Teil dieses Nebels, diffus und unscharf. Er wurde mit der Einführung der ersten und nach wie vor grössten Kryptowährung geprägt: Bitcoin. Krypto steht heute etwa für Kryptowährung, Krypto-Anlage oder Krypto-Token. Seit der Herausgabe des ersten BTC-Tokens 2009 wurden Tausende «Kryptos» herausgebracht und mit ihr eine Flut an Begrifflichkeiten geschaffen. Eine Begriffsklärung ist daher angebracht.

2.1. Krypto-Anlagen und Token

Als mögliches Anlageinstrument mit innerem Wert ist der Begriff Krypto-Anlage zentral und als Definition, die folgende, eigene, zweckdienlich:

Eine Krypto-Anlage ist ein digitaler Vermögenswert, der als Tauschmittel, als Wertspeicher oder als Anlageinstrument dient und Kryptografie zur Sicherung von Transaktionen und zur Kontrolle der Schaffung neuer Einheiten verwendet. Sie ermöglicht Peer-to-Peer Transaktionen durch Nutzung dezentral geführter Transaktionsdatenbanken („DLT“) mit Blockchain-Technologie und operiert ohne zentrale Autoritäten wie Behörden oder Finanzintermediäre.

Krypto-Anlage wird oft synonym zu Kryptowährung verwendet, ist allerdings der Überbegriff. Kryptowährung ist eine Spezialität, die den Fall umschreibt, dass eine Krypto-Anlage primär als Tauschmittel fungiert.

Damit fallen die von Nationalbanken vorangetriebenen CBDCs (Central Bank Digital Currency) als Krypto-Anlagen ausser Betracht. Sie sind zwar als Reaktion auf Kryptowährungen erst entstanden, werden allerdings von Zentralbanken zentral herausgegeben. Auch verwenden sie nicht notwendigerweise eine Blockchain-Technologie.

Krypto-Anlagen werden oft auch als (Krypto-) Token bezeichnet. Krypto-Token beschreibt eine Information auf einem DLT-System, das Rechte jeder Art repräsentieren und einem oder mehreren öffentlichen Schlüsseln zugeordnet werden kann. Solche wurden vor regulatorischem Hintergrund früh schon weiter unterteilt in Zahlungs-, Nutzungs- und Anlage-Token, um die Anwendbarkeit von Geldwäschereibestimmungen oder Wertpapiergesetzgebung zu regeln.[3] Aus diesen regulativen Begriffen lässt sich allerdings nichts für die Bewertung eines inneren Wertes ableiten, was exemplarisch die Anlage-Token verdeutlichen. Diese repräsentieren auf der Blockchain abgebildete Vermögens-gebundene Rechte. Verkörpert wird das Recht, niemals jedoch das reale Anlagegut. Dieses verbleibt stets mitsamt des inneren Wertes ausserhalb des Tokens resp. des DLT-Systems.

Für die Beurteilung von inneren Werten steht hier ein anderer Token-Begriff im Vordergrund.

2.2. Native Token mit innerem Wert

Im Zentrum der hier vorgestellten Bewertungsmethode für einen inneren Wert steht der sog. «native Token».

Native Token

Native Token gehen aus der eigenen Blockchain hervor, entweder bereits originär mit ihrer Entstehung oder auch später durch Prägung («Minting»). Sowohl das Ausgabe-Verfahren ist im Blockchain-eigenen Protokoll resp. Smart Contract kodifiziert wie das sog. Konsensus-Verfahren, welches bestimmt, wie native Token später auf der Blockchain geprägt werden sollen, bei BTC etwa via PoW, bei ETH via PoS (weiter unten mehr dazu). Native Token, teils auch als „native Währung“ oder kurz „Coin“ bezeichnet, konkurrenzieren nicht mit den oben beschriebenen regulatorischen Token-Arten sondern können auch darunter fallen. So wird BTC als nativer Token von den Regulatoren gleichzeitig als Währungs-Token qualifiziert.

Kein nativer Token ist demgegenüber ein NFT (nicht fungibler Token). Ein NFT repräsentiert ein einmaliges Gut wie ein reales oder virtuelles Kunstwerk. Er entsteht anders als native Token durch sog. Tokenisierung. Dabei wird ein Krypto-Token hergestellt, der ein physisches oder immaterielles Gut verkörpert, und der dann auf einer Blockchain gespeichert, transferiert oder gehandelt werden kann (mehr zu Tokenisierung von Realgütern in einem anderen Artikel).

Innerer Wert:

In der traditionellen Aktienbewertung, an der hier angelehnt wird, liegt der innere Wert im Wert des Unternehmens, welches die Aktie ausgegeben hat. Die Bewertung stellt dabei auf die Analyse der Fundamentaldaten und Charakteristika des Unternehmens ab.[4] Der innere Wert einer Aktie spiegelt somit den tatsächlichen Wert wider und nicht einen Marktpreis, der auf Angebot und Nachfrage beruht und unter- oder überbewertet sein kann. Für inneren Wert werden auch die Begriffe intrinsischer Wert, «Fundamentalwert», «fair value» oder «floor value» verwendet.

Beim nativen Token leitet sich ein innerer Wert direkt aus dem eigenen unterliegenden Blockchain-Netzwerk ab. Der native Token zieht diesen aus seiner Netzwerk-Funktion als primäres Tauschmittel und Wertspeicher. Die beiden prominentesten und grössten Krypto-Anlagen als native Token sind „BTC“ und „ETH“.

2.3. BTC und ETH: Native Kryptoanlagen mit innerem Wert

BTC und ETH („Ether“) bezeichnen die (nativen) Token und sind von Bitcoin und Ethereum als ihren jeweiligen Blockchain-Netzwerken zu unterscheiden. Beide Token können via Börsen oder Peer-to-Peer, d.h. direkt zwischen Individuen, gehandelt werden, wobei beim Handel über eine Börse ein Marktpreis entsteht. Der Fundamentalwert ergibt sich demgegenüber aus dem Nutzen der Netzwerk-Plattform für seine Teilnehmer. Als Bewertungsobjekt unterscheiden sich BTC und ETH darüber hinaus in einigen wesentlichen Aspekten.

2.3.1. Bitcoin – Ein dezentrales Bezahl-Netzwerk

Das 2008 unter dem Pseudonym Satoshi Nakamoto veröffentlichte Whitepaper umschreibt Bitcoin als „eine reine Peer-to-Peer Version eines elektronischen Zahlungsverfahrens [, das] online-Zahlungen direkt von einer Partei an eine andere erlaubt, ohne über ein Finanzinstitut zu gehen.“ Erstmals in der Geschichte wird damit Besitz an virtuellem Eigentum ermöglicht ohne auf zentrale Autoritäten wie Banken angewiesen zu sein.

Durch die Netzwerk-Währung BTC wird das Netzwerk betrieben, insb. die «Miner» entschädigt. Zudem dient der Coin als Wertspeicher und als Tauschmittel, weshalb ihm Eigenschaften einer Währung zugeschrieben werden. Im Gegensatz zu staatlichen Währungen, deren Geldmengen laufend ausgeweitet werden, ist die Menge der Bitcoins von Beginn weg auf 21 Mio. beschränkt und macht aus BTC ein rares Gut, ähnlich Gold, daher auch „digitales Gold“ genannt.

Vereinfacht gesagt, kann man also Bitcoin als ein elektronisches Peer-to-Peer-Bezahlsystem beschreiben, welches vollständig dezentral operiert, und deren Wert sich direkt in BTC als seiner eigenen (privaten) und mengenmässig beschränkten Kryptowährung niederschlägt.

2.3.2. Ethereum – Ein dezentrales Mehrzweck-Netzwerk

Ethereum existiert seit Mitte 2015 und wurde 2013 von seinem Mitbegründer Vitalik Buterin in einem Whitepaper beschrieben. Die in der Schweiz domizilierte Ethereum-Stiftung definiert das Netzwerk wie folgt:

„Ethereum ist eine Technologie, die dem Gemeinwohl dient. Es handelt sich um ein weltweites System, eine Open-Source-Plattform, um Computercode zu schreiben, der digitale Datenbanken mit Hilfe von Smart Contracts ohne Notwendigkeit eines zentralen Vermittlers speichert und automatisiert, und das Vertrauen mittels kryptografischer Techniken herstellt.“

Als Mehrzweck-Plattform konzipiert, lassen sich auf Ethereum via Smart Contracts von jedermann dApps («decentralized Applications») programmieren und unterschiedlichste Anwendungen und Geschäftsmodelle schaffen. Durch seine Mehrzweckfähigkeit unterscheidet sich Ethereum von Bitcoin (ausschliesslich Bezahl-Netzwerk). Sie ist ihr Alleinstellungsmerkmal und Markenkern (mehr dazu in einem früheren Artikel). Ferner nutzt das Netzwerk seit dem Protokoll Upgrade im September 2022 (auch als «Merge» bezeichnet) ein Proof-of-Stake („PoS“) Konsensus-Verfahren, und nicht mehr ein Energie-intensives PoW (Proof-of-Work) wie Bitcoin.

Die beiden nativen Token BTC und ETH beziehen ihren jeweils inneren Wert also aus verschiedenen Anwendungsmöglichkeiten: BTC aus dem Nutzen seiner Peer-to-Peer Bezahlplattform und seiner potenziellen Eigenschaft als Währung, ETH dahingegen aus seiner Mehrzweckfähigkeit und dem Nutzen als wachsendes Ökosystem rund um die darin gedeihenden Anwendungen.

3. Bewertungsmethoden

3.1. Traditionelle Fundamentalwertanalyse – Das Gegenkonzept zur Spekulation

Bei der Aktienanalyse haben sich über lange Zeit Bewertungsmethoden etabliert. Traditionell wird zwischen den beiden folgenden unterschieden. Vermehrt kommen solche auch für Kryptowährungen zur Anwendung.

Die Technische Analysemethode zielt darauf, kurzfristige Preistrends oder Ein- und Ausstiegszeitpunkte mittels statistischer Analyse von Preis- und Volumendaten zu prognostizieren, die Preisschwankungen auszunutzen und damit Kursgewinne zu erzielen. Fundamentalwerte werden nicht mitberücksichtigt. Sowohl bei traditionellen Wertschriften wie bei Krypto-Anlagen erfordert die Anwendung viel Erfahrung, Expertise und Geschick, um nicht reine Spekulation zu bleiben.

Demgegenüber zielt die Methode des „wertbasierten Anlegens“ („Value-Investing„) auf den inneren Wert einer Anlage. Value Investoren suchen im Verhältnis zum gehandelten Marktpreis deutlich unterbewertete Vermögensanlagen und gehen davon aus, dass sich deren Bewertung langfristig im Markt (-preis) niederschlägt. Wertbasiertes Anlegen richtet sich auf den inneren Wert und ist auf lange Frist angelegt, nicht auf Preis und spekulative Kurzfristgewinne.

Auch für Krypto-Anlagen bilden sich vermehrt Ansätze dieser Fundamentalwertanalyse heraus. Damit kann beispielsweise die enorme Marktvolatilität ausgeblendet werden, und es besteht keine Notwendigkeit, Positionen 24/7 im Auge zu halten. Eine Idee, wie ein Fundamentalwert Analyse-Tool für Krypto-Werte aussehen kann, findet sich etwa bei Coinfairvalue. Dessen Modell unterscheidet sich allerdings deutlich von dem hier vorgestellten.

3.2. Krypto – Angekommen in der traditionellen Finanzanalyse

Neuerdings setzt sich auch das renommierte CFA Institut, welches den CFA Charter vergibt und als Gold Standard der Investment-Analyse gilt, mit der Bewertung von Krypto-Anlagen auseinander; es hat im Januar 2023 ein entsprechendes Forschungs-Papier herausgegeben. Das ist bemerkenswert, bedeutet es, dass Krypto nun vollständig in der traditionellen Finanzwelt angekommen ist. Noch vor 2 Jahren bestand die Diskussion darin, ob Krypto-Anlagen überhaupt Qualität als Anlageklasse zukommen. Das wird heute weitgehend bejaht: Kryptowerte werden als alternative Anlageklasse, vergleichbar etwa mit Rohstoffen angesehen.

In der Aktienanalyse wird deren innerer Wert gestützt auf 1) Barwert oder Discounted-cashflow, 2) Multiplikator-Modellen und 3) vermögensbezogene Bewertungsmodellen oder einer Kombination daraus berechnet werden. Die Schwierigkeit für die Kryptowerte besteht allerdings darin, dass die je nach Natur des betreffenden Vermögensobjektes erforderlichen Bewertungsparameter wie Cashflow (Geldflüsse), Erträge oder Bilanz-Aktiva nicht oder nicht zureichend vorhanden sind, sie also grösstenteils ins Leere laufen.[5] Bei Kryptowährungen mit primärer Tauschmittel-Funktion wie Bitcoin fehlen etwa Datenpunkte wie Zinsunterschiede oder Messtechniken für Kaufkraft von Waren und Dienstleistungen.

4. Krypto: Innerer Wert aus dem eigenen Netzwerk

Aus den genannten Gründen schlägt das CFA-Institut einen für die Krypto-Welt angepassten Ansatz vor, der native Token zum Bewertungsobjekt für die Fundamentalwert-Analyse des inneren Wertes macht.

4.1. Der Anwendungsfall-orientierte Netzwerkansatz

Der sog. Anwendungsfall-orientierte Netzwerkansatz stützt sich auf eine Nachfrage-orientierte Betrachtung und blendet Angebots-orientierte Gesichtspunkte aus.[6]

Der Netzwerkansatz baut auf dem sog. Metcalfe’schen Gesetz auf, wonach der Wert eines Netzwerkes mit dem Wachstum seiner Nutzer exponentiell wächst.[7] Die Anzahl aktiver Nutzer eines Netzwerkes ist somit sein zentraler Messparameter.

Der andere Aspekt des Modells ergibt sich aus einer Analyse der wirtschaftlichen Haupt-Anwendungsfälle der nativen Krypto-Anlage und seiner spezifischen Messpunkte: Der innere Wert wird unabhängig von den Wirtschafts- oder Marktbedingungen durch diese Basis-Anwendungsfälle gestützt und dadurch bestimmen, wie seine Teilnehmer das Instrument tatsächliche nutzen:

«Wertbildend für den inneren Wert des nativen Tokens sind damit die Anzahl der dauerhaften Nutzer seiner Anwendungsmöglichkeiten, mindestens jedenfalls für diese Nutzer.»[8]

Damit lässt sich auch erklären, weshalb selbst im Tiefpunkt eines Krypto-Winters Anlageinstrumente wie Bitcoin oder Ether nicht auf null fallen. Die dahinterstehenden Basisnutzungsfälle sorgen für dauerhafte Nachfrage selbst bei widrigsten Marktbedingungen und garantieren einen Mindestwert, der dem intrinsischen Token-Wert zum jeweiligen Zeitpunkt entspricht. Letztmals konnten derlei Mindestwerte von November 2022 bis Januar 2023 beobachtet werden. BTC fiel nie unter die Marke USD 16’000, ETH nie unter USD 1’000.

4.2. Die wirtschaftlichen Anwendungsfälle des Netzwerks

Neben der Anzahl aktiver Nutzer (Netzwerkgedanke) müssen also die verschiedenen wirtschaftlichen Anwendungsfälle eines Blockchain-Netzwerks und ihre Messparameter verstanden werden. Es hat sich eine Liste aus Nutzungsformen herauskristallisiert, die das Potential haben, eine dauerhafte Nachfragequelle für Krypto-Anlagen zu sein und zu dessen innerem Wert beizutragen.[9] Sie gilt nicht als abschliessend und wird sich über die Zeit auch noch verändern.

  1. Wertspeicher (BTC + ETH)
  2. Kryptowährung als alternative Form von Geld oder Währung (BTC + ETH)
  3. Investition und Spekulation (BTC + ETH)
  4. Finanzierungsquelle für illegale Aktivitäten (BTC + ETH)
  5. Weitere Anwendungszwecke (BTC + ETH)
  6. DeFi, einschließlich Kreditvergabe und Kreditaufnahme (ETH)
  7. Smart-Contract-Anwendungen (ETH)
  8. Tokenisierung von realen Werten und Prozessen (ETH)

Die Krypto-Anlagen BTC und ETH beherbergen beide mehrere dauerhafte wirtschaftliche Anwendungszwecke. Wir beleuchten hier die robusteren unter ihnen.

4.2.1. Wertspeicher (BTC + ETH)

Bitcoin ist digitales Gold. Oft wird behauptet, Bitcoin ist eine Absicherung (ein „Hedge“) gegen Inflation, ähnlich wie Gold. Gerade in den vergangenen Monaten als die Inflation weltweit Höchststände erlebte und noch erlebt, konnte dieser Effekt allerdings nicht nachgewiesen werden wie das Diagramm unten zeigt. Ob sich Bitcoin als Wertspeicher und Inflationsschutz dauerhaft und als Alternative zum physischen Gold zu etablieren vermag, kann erst die Zukunft weisen.

Analoges kann von ETH, gerne auch als digitales Silber bezeichnet, gesagt werden. Im Gegensatz zu BTC weist ETH seit seiner Protokoll-Änderung letzten September aber zusätzlich deflationäre Wirkung auf, und das könnte sich auf seine Nachfrage künftig positiv auswirken.

Relative Wertentwicklung von Gold (XAU), Bitcoin (BTC) und dem U.S. Dollar Index über einen rollierenden Einjahreszeitraum, Stand: 5. September 2022
BTC-Inflationsabsicherung für einen rollierenden Zeitraum von einem Jahr, ab 5. September 2022 – Quelle: Refinitiv

4.2.2. Alternative Form von Geld oder Währung (BTC + ETH)

Bitcoin ist die reinrassigste aller Kryptowährungen und Form von Geld. Nichtsdestotrotz erfüllt selbst sie (noch) nicht alle drei formalen Qualifikationsvoraussetzungen für Geld:

  1. BTC ist noch kein Wertspeicher (s. oben)
  2. BTC ist noch keine Recheneinheit. Wäre er das, würde sein Wert nicht stets in seinem Fiat-Gegenwert (üblicherweise USD) angegeben und gemessen werden. Mit weitergehender Massenadoption von BTC könnte dieses Kriterium künftig allerdings erfüllt werden. Man denke z.B. an Länder wie El Salvador, welche BTC als offizielle Alternativ-Währung bereits zugelassen haben.
  3. BTC ist fraglos ein Tauschmittel

Unabhängig von dieser formalen Betrachtung haben Bitcoin oder auch ETH auch ausserhalb von El Salvador bereits Geld-ähnlichen Status erreicht. Wie ist es anders erklärbar, dass Zentralbanken mit CDBCs experimentieren, würden sie in den privaten Kryptowährungen nicht eine Bedrohung für ihre eigene Staatswährung sehen? Es kann heute davon ausgegangen werden, dass sich der Verwendungszweck als Geld dauerhaft durchsetzen wird, getrieben insbesondere durch Massenadoption in Ländern der südlichen Hemisphäre, deren Einwohner überwiegend keine Bankbeziehung besitzen.

4.2.3. Investition und Spekulation (BTC + ETH)

Zweifelsohne besteht für diesen wirtschaftlichen Anwendungsfall eine hohe Nachfrage, der sich aus Spekulation und kurzfristigem Handel, aber auch «Buy-and-Hold» Strategien (unter Krypto-Investoren kurz «Hodling» genannt) ergibt. Zwar ist der Krypto-Markt noch nicht reif entwickelt und auch die von Krypto-Börsen verfügbaren Daten sind noch unzuverlässig, doch gibt es einige Indikatoren, die bereits greifen. Krypto-Anlagen werden heute als alternative Anlage-Instrumente angesehen. Sie können damit Teil einer Diversifikations-Strategie eines Finanzportfolios sein und deren Beimischung sich positiv auf dessen Performance auswirken (etwa via Sharpe Ratio Kennzahl messbar). Ferner bietet sich speziell für BTC und ETH ein weiterer Indikator für Langfristinvestitionen an, die durchschnittliche Haltedauer eines Tokens. Die Grafik unten zeigt, dass diese für BTC bei rund 150 Wochen (knapp 3 Jahre) und für ETH bei knapp 70 Wochen (1 Jahr und 4 Monate) liegt. Für andere Coins dürften sich dieser Anwendungszweck jedoch noch nicht materialisieren.

Durchschnittliches Alter der gehaltenen Vermögenswerte Bitcoin, vs. Ethereum, vs. Stablecoins (1. Juli 2021) - Quelle: Chainalysis
Durchschnittliches Alter der gehaltenen Vermögenswerte Bitcoin, vs. Ethereum, vs. Stablecoins (1. Juli 2021) – Quelle: Chainalysis

Für ETH ergibt sich aus dem erwähnten Merge letztes Jahr und der Umstellung auf das PoS Konsensus-Verfahren noch ein weiterer Langfristinvestitions-Fall, das sog. «Staking». Die Teilnehmer setzen ihre Kryptowährung dabei als Sicherheit ein, um Transaktionen zu validieren und neue Blöcke zu erstellen, und erhalten hierfür eine Entschädigung, vergleichbar mit Zins auf einem Sparkonto. Dadurch wird ein Anreiz geschaffen, ETH möglichst lange eingebucht zu halten. Dies dürfte die durchschnittliche Haltedauer verlängern, die Volatilität der Währung verringern und sich insgesamt positiv auf den ETH Investitionszweck auswirken.

4.2.4. DeFi

DeFi («Decentralized Finance») ist aktuell vielleicht der robusteste und bekannteste der dem Ethereum Netzwerk eigenen wirtschaftliche Anwendungsfälle: DeFi steht für die Dezentralisierung von Finanzaktivitäten wie Kreditvergabe und Kreditaufnahme durch den Einsatz (öffentlicher) Blockchain-Protokolle. Entsprechende Finanzgeschäfte werden also ohne zentrale Einheiten wie Banken oder (zentralen) Börsen abgewickelt. Der DeFi Sektor entstand ursprünglich aus dem Ethereum Netzwerk heraus. Aktuell liegt der Ethereum-Anteil am DeFi Sektor noch bei > 58%. Das entspricht ca. $28 Mrd. an TVL (Total Value Locked), dem Mess-Indikator für den DeFi Sektor, welcher dem Gesamtwert der in einem DeFi-Protokoll deponierten Token entspricht.

Ethereum-Marktanteil von DeFi und ETH TVL (Stand: 07.05.2023) - Quelle: DefiLlama
Ethereum-Marktanteil von DeFi und ETH TVL (Stand: 07.05.2023) – Quelle: DefiLlama

Die Nachfrage ist trotz aktuellem Krypto-Winter stabil, doch wurde der Durchbruch zu einer dauerhaften Nachfrage noch nicht geschafft, und gerade institutionelle Anleger sind noch zurückhaltend. Das könnte sich allerdings ändern, wenn insb. die Lücken in der Krypto-Anlage Regulation geschlossen werden würden; die EU, Grossbritannien und die Schweiz haben hier vorgelegt, ausstehend ist insb. die U.S.A. DeFi bildet also einen bedeutenden wirtschaftlichen Anwendungsfall für den ETH Token schon heute, mehr noch künftig, sollte der Durchbruch tatsächlich stattfinden.

4.2.5. Und Finanzierung illegaler Aktivitäten?

Dieser Anwendungsfall ist zu grossen Teilen Nebel und FUD. Ja, er existiert, wird allerdings überbewertet: Fakt ist, dass im Jahr 2021 Schätzungen zufolge rund 14 Mrd. im Rahmen illegaler Aktivitäten über Krypto umgesetzt wurden.[10] Ein marginaler Bruchteil dessen, was innerhalb des bestehenden traditionellen Finanzsystems erreicht wird, nämlich 2-5% des globalen BIP, zwischen USD 800 Mrd. und 2 Billionen[11].

5. Fazit

Wir haben gesehen, dass native Token einen inneren Wert besitzen können, den sie direkt aus dem eigenen Blockchain-Netzwerk ableiten. NFTs fallen nicht darunter, CBDCs sind keine Krypto-Token und regulative Token-Begriffe eignen sich nicht für eine entsprechende Aussage.

Der innere Wert lässt sich über Ansätze ableiten, die bereits von der traditionellen Fundamentalwert-Analyse für Aktien-Wertschriften bekannt sind und für Krypto-Anlagen angepasst werden, vorneweg dem Anwendungsfall-orientierten Netzwerkansatz. Sowohl BTC wie auch ETH besitzen nach dieser Methode zweifellos einen inneren Wert. Seine Höhe lässt sich aktuell jedoch erst grob einschätzen. Krypto-Anlagen als alternatives Anlageinstrument und Bewertungsobjekt befinden sich noch in den Kinderschuhen; die untersuchte Methode samt griffiger Messparameter muss noch verfeinert werden und die Datenbasis sich noch festigen. Auf jeden Fall aber hat der innere Wert – wie gesehen – einen Boden, der selbst in Zeiten grösster Marktturbulenzen weit weg von Null ist. Der Grundstein ist also gelegt.

Vielleicht ist eine Krypto-Anlage keine Währung, keine Ware und kein Wertpapier im traditionellen Sinn. Keinesfalls aber ist sie ein Glücksspielvertrag mit einem fast 100-prozentigen Vorteil für die Bank wie es Charlie Munger, ein 99-jähriger Star-Investor alter Schule umschreibt. Auf die Blockchain-Ökosysteme und ihre nativen Token angepasste Fundamentalwert-Analysemethoden der Neuzeit weisen in die Gegenrichtung. Vielleicht ist es deshalb nun an der Zeit, auch eine Munger-Meinung endgültig in die FUD-Schublade zu legen.

Quellen

[1] Wall Street Journal, 01.02.2023

[2] Forbes/SHOOK Top Advisor Summit, 13.10.2022

[3] Die Typologie für diese (fungiblen) Krypto-Token geht auf die im Jahr 2018 vom Schweizer Finanzmarkt-Regulator entwickelte ICO- Wegleitung zurück, die sich auch international durchsetzte.

[4] CFA, refresher reading Equity Valuation

[5] Cryptoassets: Beyond the Hype, CFA Research Report, 04.01.2023: Ziff. 7.2.

[6] Er blendet damit Angebots-orientierte Bewertungsaspekte wie Tokenomics und abgeleitete Mengenlimitierungen, «Stock-to-Flow» oder Produktionskosten aus.

[7]  Shapiro, Carl, and Hal R. Varian. 1998. Information Rules: A Strategic Guide to the Network Economy. Cambridge, MA: Harvard Business Press.

[8] Cryptoassets: Beyond the Hype, CFA Research Report, 04.01.2023: Ziff. 7.2.

[9] In Anlehnung an eine Klassifizierung in: Cryptoassets: Beyond the Hype, CFA Research Report, 04.01.2023: Ziff. 7.4.

[10] 2022 Crypto Crime Report von Chainalysis

[11] United Nations Office on Drugs and Crime’s money laundering overview hier

For over 20 years I have established leading edge business, regulatory and digital solutions in the Banking sector and built small businesses cross-industry. My passion today goes for Blockchain ecosystems, the decentralized innovation power originating from it, directed towards a more self-sufficient environment. This multidisciplinary topic allows me to leverage my experience as a delivery manager, business developer, lawyer, entrepreneur, and combine business, regulation and technology expertise

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