Endlich Disruption – Stadtwerke auf dem Weg zum Energiewendedienstleister
Der Wandel der Stadtwerke und die Rolle im Energiewandel
„Im Angesicht der disruptiven Energiemarkt-Transformation sind die Stadtwerke gefordert, von reinen Versorgern zu Dienstleistern zu werden. Struktureller Wandel, innovative Methoden und Kompetenzaufbau sind unerlässlich.
Aus einigen BWL-Vorlesungen mag man es noch erinnern: Da ging es um disruptive Märkte – aber irgendwie war das alles eher theoretisch und ein bisschen unwirklich. Und nun sind wir mitten drin in der Disruption, in diesem Fall der Disruption des Energiemarktes. Dieser erlebt gerade einen Umbruch ungeahnten Ausmaßes – und damit ändern sich für die rund 1000 Stadtwerke in Deutschland, fundamental die Grundlagen ihrer Tätigkeit. Stadtwerke sind als überwiegend kommunale Unternehmen der Daseinsvorsorge verpflichtet. Es braucht diese Urgesteine der Energiewirtschaft für die lokale, sozial gerechte Energiewende. Stadtwerke verfügen über jahrzehntelange Erfahrung, sie sind zuverlässige Versorger, die gerade mit ihrer Riskoaversität in der jüngsten Energiekrise dafür gesorgt haben, dass niemand zurückgelassen wurde. Wie aber sind sie aufgestellt für den Wandel weg vom reinen Versorger hin zum Dienstleister? Weg vom leitungsgebundenen Erdgas hin zu einem neuen Energiemarktdesign?
Über die technischen Möglichkeiten wird viel gesprochen, um den schnellen Wandel zum Energiedienstleister zu schaffen und marktfähig zu bleiben, braucht es für Stadtwerke mindestens ebenso dringend einen Wandel in der Organisation mit ihren Strukturen, Methoden und Kompetenzen.
Strukturen neu denken
Strukturen weg von den historisch gewachsenen einzelnen Gesellschaften hin zu übergreifenden Managementstrukturen und Shared Service Einheiten. Das leuchtet beispielsweise am Ausbau der eMobilität als neuem Themenfeld jedem ein: Wo auch sollte dieses geplant werden, wenn nur in einer Sparte? In der Mobilität, bzw. dem Stadtverkehr, im Vertriebsbereich bzw. dem klassischen Stadtwerk? Aufgrund der Digitalisierungsbedarfe in den meist neu aufgebauten Digital-Sparten? Oder doch lieber beim Netzbetreiber aufgrund des dafür relevanten Ausbaus der Netzstrukturen? Eine Zuordnung zu einer dieser Einheiten, egal zu welcher, wäre vermutlich weder zielführend noch schnell. Übergreifende Themen sollten übergreifend gedacht und entschieden werden, jeweils unter Einbeziehung der späteren Umsetzer:innen. In der Aufbauorganisation wird dies möglich durch den Umbau des Unternehmens zu Geschäftsfeldern und zentralen Service-Einheiten. So können Themen beispielsweise der Unternehmensentwicklung vom Strategieprozess bis zum Business Development an zentraler Stelle angegangen werden, um dann nach der Planungsphase zur Umsetzung in die operativen Einheiten zu gelangen. Auch eine zentrale Vertriebsstrategie und -steuerung gehört zu den neuen Strukturen und sichert den Wandel zu einem marktorientierten Dienstleister. In der Arbeitsweise bedeutet die Neuausrichtung der Stadtwerke eine steigende Anzahl an Projekten. Hier hilft neben einer einheitlichen Methodik und einer mit der Personalplanung verzahnten Projekt-Kapazitätsplanung vor allem auch der Aufbau eines zentralen Projekt- und Multiprojektmanagements.
Andere Methoden einsetzen
Neben neuen Strukturen braucht es auch andere Methoden als im bisherigen, stabilen Markt. Mit einem Blick nach hinten ist in disruptiven Märkten kein Businesscase zu rechnen. Das altbekannte Vorgehen, einen Case an Vergangenheitswerten zu orientieren scheitert aufgrund fehlender Vergangenheit der neuen Themen. Das retrospektive Analysieren der Zahlen, die dann mit einem leichten Aufschlag den Plan für das nächste Geschäftsjahr darstellen greift ebenso wenig, wie die Strategiebildung mittels Benchmarking oder SWOT-Analysen. Vielmehr braucht es ein gemeinsames Verständnis über das, was kommt – ein gemeinsames Zukunftsbild. So findet man auch im schnellem Wandel eine Strategie als Grundausrichtung des Handelns. Wenn es gelingt, über alle Abteilungen hinweg ein Zukunftsbild des lokalen Energiemarktes um 2030 vorzustellen und die dann passende Rolle des Unternehmens darin festzumachen, kann aus den jahrelangen Erfahrungen der Mitarbeitenden und dem neuen Zukunftsbild eine enorme Kraft für den Wandel entstehen.
Ganz praktisch kann dann im „Backcasting“ in Blöcken „zurückgesprungen“ werden, um zu definieren, was für dieses Ziel einige Jahre vorher erreicht sein muss. Und anschließend dann zu überlegen, was dafür wiederum einige Jahre vorher erreicht sein muss – und was man dann bereits jetzt beginnen muss… Diese Themen der unterschiedlichen operativen Einheiten wie beispielsweise der Erzeugung, des Vertriebs oder der Netzgesellschaft schließlich in eine konkrete Projektroadmap herunterzubrechen und anzugehen ist der dann logische nächste Schritt. Das gemeinsame Zielbild und die Konkretisierung der zur Erreichung notwendigen Maßnahmen sind zugleich eine essentielle Grundlage für die Finanzplanung, wenn retrospektive Methoden an ihre Grenzen kommen.
Kompetenzen richtig aufbauen
Nach Strukturen und Methoden spielen Kompetenzen und kluge Entscheidungen eine große Rolle: Selbst die beste Strategie ist – gerade in disruptiven Märkten – nur eine bessere Näherung an eine mögliche Realität und weit entfernt von der altbekannten Verlässlichkeit jahrzehntelanger Geschäftsmodelle. Um in diesem ungewohnten Umfeld die notwendige Veränderungsgeschwindigkeit aufzubringen, braucht es Mut, Entscheidungen auch unter Unsicherheit zu treffen und ggf. zu korrigieren.
Für die Umsetzung der neuen Themen sind in den Stadtwerken vor allem in den Shared Service Einheiten neue Kompetenzen notwendig, die teils durch externe Rekrutierung gewonnen werden müssen: Stadtwerke haben aus der Historie des Geschäftsmodells Mitarbeitende, die es gewohnt sind, mit Blick auf Versorgungssicherheit, Zuverlässigkeit und Rentabilität zu arbeiten. Sie waren dabei sicher nicht unbedingt die dynamischsten oder risikofreudigsten Marktteilnehmer, sicherten aber eine zuverlässige Versorgung der Kund:innen und ein solides Unternehmensergebnis in einem stabilen Markt.
Größere und vor allem vorausschauende Stadtwerke haben in den vergangenen Jahren neuartige Themenfelder für sich entdeckt und neue Bereiche aufgebaut rund um die Digitalisierung. Hier wurden neue Mitarbeitende rekrutiert, die mit Start-up-Mentalität, schneller Ideenentwicklung und Innovationsorientierung für die Entwicklung neuer Themen und Produkte sorgten und ganz neue Herangehensweisen, Arbeitskultur und Umgangsformen in die Stadtwerke brachten. Nicht immer mussten und mochten diese Innovatoren unbedingt direkt in schnellen Erträgen denken.
Beide Kompetenzen sind weiterhin gefragt. Um im sich nun zunehmend schneller wandelnden Markt kundenzentrierter zu agieren und marktfähiger zu denken, benötigt es zudem eine Klammer über diesen beiden Arbeitsweisen und Denkmuster. Hier sind Mitarbeitende mit Methodenkompetenzen gefragt, die nicht unbedingt aus der Energiewelt stammen müssen. Sie sind dabei umsetzungsorientiert und vernetzt denkend und schließen als „Enabler“ das Gap zwischen jenen mit Expertise und Erfahrung des Energiemarktes und jenen mit Mut und der Experimentierfreude an neuen Themen. Diese Kompetenzen helfen Stadtwerken auf dem Weg zu einem neuen Agieren auf dem Markt. Was die drei Gruppen an Mentalitäten eint, ist die gemeinsame Vision, Teil eines kundenorientierten, zukunftsfähigen Energiewendediens<tleisters zu sein.
Schlusswort
Wenn die langjährige Energieerfahrung der Stadtwerke und die zahlreichen neuen Technologien zudem noch ergänzt werden um schnelle Strukturen, zukunftsfähige Methoden und vernetzende Kompetenzen, dann hilft das, die Lust auf Veränderung zu entfachen und die große Zukunftsherausforderung in handhabbare Themen zu zerlegen. Es darf und muss sich etwas ändern – endlich Disruption!
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