Warum KI keine „Magic Sauce“ ist – Die Realität hinter dem Hype

Fokus auf langweilige Grundlagenarbeit kann mehr Erfolg bringen denn dem letzten Trend hinterherzurennen.

Fortschritte bei digitalen Technologien bringen immer wieder Trends hervor, die als Lösungen angepriesen werden, um auf einen Schlag viele Probleme zu lösen. Das letzte Beispiel ist künstliche Intelligenz welche Organisationen in der Umsetzung ihrer digitalen Transformation verspricht, endlich einen Gang höher zu schalten. Doch gerade bei tiefer digitaler Maturität täte man besser daran, sich um die Basics zu kümmern, anstatt Ressourcen in „magische“ Lösungen wie künstliche Intelligenz zu stecken.

Steigendem Innovationsdruck begegnen

Neben den vielen Chancen, die der digitale Wandel Firmen bietet, stellt er auch eine grosse Herausforderung dar. Viele Firmen, gerade KMU, sehen sich in der digitalen Wirtschaft grossem Druck gegenüber, innovativ zu sein und interne Prozesse zu digitalisieren sowie Geschäftsmodelle zu überdenken. Start-ups drängen in sicher geglaubte Märkte, Tech-Firmen untergraben etablierte Geschäftsmodelle und neue Kundenanforderungen erhöhen die Anforderungen an die eigene IT und digitale Präsenz. Gleichzeitig erinnern einem teure und manchmal erfolglose IT-Projekte, Hackerangriffe und Datenpannen an die meist tiefe digitale Maturität.

Bei begrenzten Ressourcen, rasantem technologischen Wandel und grosser Unsicherheit, findet man sich schnell in einer schwierigen Ausganglage wieder. Wo soll ich nur anfangen? Wie kann ich möglichst schnell, weit kommen bei der digitalen Transformation?

Das Versprechen der «magic sauce»

Hier kommt die «magic sauce» ins Spiel, die Silberkugel, die eine Lösung, die meine Probleme auf einen Schlag löst. Das Versprechen der entsprechend vermarkteten Technologien lautet: du brauchst nur auf mich zu setzen und ich werde deine digitalen Probleme lösen. Gemäss der Idee des «Leapfrogging» können lange Phasen harter Arbeit einfach übersprungen werden und ich kann mich auf einen Schlag an die Spitze der Maturitätskurve setzen. Das ist natürlich ein sehr attraktives Versprechen, insbesondere wenn man von der Angst geplagt ist, abgehängt zu werden. Egal in welchem Zustand sich eine Organisation befindet, egal wie analog Prozesse aufgesetzt sind, man giesst einfach etwas «magic sauce» drüber, et voilà: schon gehört man zu den digitalen Champions.

Aktuell wird künstliche Intelligenz als solch magische Lösung präsentiert, von der generativen KI Variante wie den Large Language Models à la ChatGPT hin zu anderen Produkten basierend auf maschinellem Lernen. Die Systeme versprechen Effizienz- und Erkenntnissgewinne, sollen in den unüberschaubaren Datenlagern von Unternehmen neue Einsichten generieren und interne Prozesse optimieren sowie Mitarbeitende bei ihrer Arbeit entlasten.

Wer den Pfennig nicht ehrt…

Was bei der Anpreisung solcher magischen Lösungen gerne übersehen wird: um ihre Wirkung zu entfalten, müssen gewisse Grundvoraussetzungen erfüllt sein. Genauso wie einem ein Sportwagen auch nur etwas bringt, wenn man den Führerschein und genügend Treibstoff hat, so bringt die faszinierendste Technologie einem nicht weiter, wenn man sie nicht nutzen kann.

Ganz abgesehen davon, dass selbst bei Organisationen mit hoher digitaler Maturität ein erfolgreiches KI-Projekt kein Selbstläufer ist, so spielt auch wie häufig in der Magie hier die Täuschung eine grosse Rolle: man mag auf den ersten Blick selbst bei erfolgreichen KI-Projekten Fortschritte gemacht haben, doch ein genauerer Blick fördert oft die traurige Wahrheit zutage: nämlich dass man es verpasst hat, an den Ursachen für die ursprüngliche tiefe Innovationskraft oder Effizienz zu arbeiten und das wird einem einholen. Jahrzehntelange Transformationsversäumnisse lassen sich nicht einfach durch eine eingekaufte KI-Lösung – oder sonstige Magie – wettmachen.

Beispiel aus der Verwaltungsdigitalisierung

Gerade im öffentlichen Dienst ist es immer wieder notwendig, verschiedene Daten miteinander zu verknüpfen und abzugleichen. Dabei gibt es allerdings auf Grund von Datensilos, fehlender Interoperabilität, unklaren Standards und anderen Baustelle grosse Probleme. So stellte sich bspw. die Verknüpfung von Steuerdaten und Kontoinformationen in Deutschland als schier unüberwindbare Herausforderung heraus (Artikel im Standard). Künstliche Intelligenz kann hier keinen Mehrwert schaffen, weil die nötigen Grundlagen, z.B. Zugang zu Daten, schlicht nicht gegeben sind. Dennoch dürfte die Verlockung auch im öffentlichen Sektor gross sein, in der Hoffnung auf rasante Fortschritte lieber auf das magische Versprechen von künstlicher Intelligenz und anderer Trends zu setzen, denn sich mit den langwierigen Grundlagen der digitalen Transformation auseinanderzusetzen.

Beispiel aus der Privatwirtschaft

Eine Firma steht unter Druck da sie einerseits digital fitte Konkurrenz in ihrem Markt erhalten hat, andererseits bei Kundenbefragungen merkt als wenig digitalaffin zu gelten. Ausserdem ist insb. die Kundenzufriedenheit im Kundendienst tief. In der Hoffnung, mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, setzt das Management auf eine Chatbot-Lösung. Marketingtechnisch scheint die Rechnung aufzugehen, man gehört zu den ersten Firmen der Branche die auf einen Chatbot à la ChatGPT setzen. Doch die historisch gewachsenen komplexen Support-Prozesse existieren weiterhin und auch wenn es die Kunden anfangs interessant finden mit einer KI zu plaudern, so haben sie sich doch bei der Firma gemeldet um ihre Kundenanfrage betreuen zu lassen, was dann an der mangelnden Transformation weiterhin scheitert.

Schlussfolgerung

Was folgt nun aus diesen Überlegungen und Beispielen? Sicherlich nicht, dass es nie die Möglichkeit des Leapfrogging gibt und auch nicht, dass man nicht mit neuen Technologien experimentieren sollte. Es folgt aber hoffentlich, dass eine gewisse Skepsis angebracht ist, wenn einem ein zu bequemer Ausweg aus der tiefen digitalen Maturität versprochen wird. Wie in anderen Bereichen gilt auch für die digitale Transformation: wer den Pfennig nicht ehrt, ist des Talers nicht wert. Heisst: nicht blenden lassen vom letzten Schrei, insbesondere dann nicht, wenn man lange seine Hausaufgaben nicht gemacht hat. Stattdessen gilt es klar den Fokus auf die Grundvoraussetzungen für die erfolgreiche digitale Transformation zu setzen: Datenstrategie, Cybersicherheit, Klarheit bei Prozessen und Outsourcing etc. Auf dieser Basis ermächtigt man die eigene Organisation nämlich auch tatsächlich schnell von neuen Trends effektiv profitieren zu können statt Geld und Nerven für eine am Ende enttäuschende Zaubershow zu verpulvern.

Nicolas Zahn combines a deep know-how of international affairs with technological understanding and helps companies and policy-makers to identify technological trends as well as understanding the impact of digital technologies on business and society. He works on a range of issues from digital trust and digital responsibility as a Senior Project Manager at the Swiss Digital Initiative to AI governance, cybersecurity and digital transformation as an independent consultant. He also moderates events, gives keynotes and lectures on those topics.

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