Sich von Mitarbeitenden Trennen mit positivem Effekt – geht das?

Zwei Massnahmen und die Nutzung der soziokratischen Moderationsmethode

Die eigenen Mitarbeiter oder Mitarbeiterinnen entlassen zu müssen, ist etwas vom Schlimmsten, was einer Firma widerfahren kann. Es ist Wut da, Trauer da und das ganze aufgebaute Vertrauen in die Menschen scheint verloren. Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sind vielleicht wütend; sie sind mit Sicherheit mutlos. Die Situation scheint ausweglos; oder etwa nicht?

Aus dem Umfeld soziokratisch geführter Unternehmen sind Beispiele bekannt, wo es auch zu Entlassungen kommen musste, doch diese konnten anders angegangen werden und zeitigten andere Resultate: Nämlich weniger Entlassungen. Der Trick, sich zu überlegen, ob es Alternativen gibt.

Was ist Soziokratie? Die Grundprinzipien

Machen wir es sehr kurz, es gibt 4 Grundprinzipien: Eine Einteilung in weitgehend selbstbestimmte aufgabenbezogene Kreise, die Verlinkung von Kreisen über Hierarchien hinweg durch Delegierte, die Wahl von Teammitgliedern und die ganz besondere moderierte Entscheidungstechnik. Für einen Entlassungsfall spielen hier die beiden letzten Prinzipien eine besondere Rolle.

Massnahme #1: Die eigene Laufbahnreflexion ankurbeln

In einem jüngst untersuchten konkreten Fall einer mittelgrossen Dienstleistungsfirma waren alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gezwungen, sich coronabedingt neu einer Wahl zu stellen, mit dem Ziel, die Gesamtzahl der Mitarbeitenden zu verringern. Mehr jedoch war damit verbunden. Die Geschäftsleitung – die selber auch einen Abbau vorgenommen hatte – rief ausdrücklich dazu auf, dass jeder und jede, sich Gedanken zur eigenen Laufbahnplanung macht und danach entscheidet, ob er oder sie im Unternehmen bleiben will. Dies ist ein erster Unterschied zu herkömmlichen Top-Down-Entscheiden. Es wurde eine mehrmonatige Reflexionsphase gewährt, wo noch keine Kündigungen stattfanden, sondern nur die individuelle Entscheidung zu einem Verbleib oder einem Austritt gefällt werden musste. Merke: Das Individuum erhält damit Würde und Selbstbestimmung.

Massnahme #2: Die Frage nach Alternativen

Gleichzeitig wurden alle Teams aufgefordert, zu überlegen, ob es Alternativen zum Personalabbau geben würde. Also andere Wege zu betriebswirtschaftlichem Mehrwert, der die Personalkosten tragen kann. Hier gab es Ergebnisse wie interne kostenpflichtige Dienstleistungen, den Umzug ist preisgünstigere Mietlokalitäten und Anderes.

In dieser vorgelagerten Phase wurde ein Reifungsprozess und Reflexionsprozess im Unternehmen gelebt, so dass bereit Alternativen und Varianten zu den geplanten Entlassungen entstanden waren. Dies waren auch der Bezug unbezahlten Urlaubes, der solidarisch von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen angeboten wurde, um die finanzielle Flaute durchzustehen.

Der Zwischenstand: weniger Entlassungen

Bei den schliesslich vorgenommenen Wahlen zeigte sich, dass weniger Stellen abzubauen waren. Mit der Neukombination von Stellenprozenten und reduzierten Anstellungen war hier zusätzlich noch ein Effekt eingetreten. Schliesslich wurde der Wahlprozess durchgeführt und die Teams stimmten ab – die Chef*innen hatten ein gewisses Vorwahlrecht, wer in die neu formierten Teams Aufnahme finden sollten.

Die Effekte

Effekte auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern

Selbst das Unternehmen verlassende Mitarbeiter behalten mit diesem Verfahren ihre Würde, denn sie haben sich – ohne erst gekündigt zu werden – selbst mit ihrer Laufbahn auseinandergesetzt und unter Umständen bereits Wechsel vollzogen, die sie sowieso früher oder später gemacht hätten. So war es ein beschleunigender Effekt einer gewissen Fluktuation, aber auch die erfolgte eigenen Laufbahnreflexion, zu der der Arbeitgeber aufgerufen hatte. Dies wurde geschätzt. Auch wenn das gesamte Verfahren als Angst auslösend und belastend empfunden wurde. Der übergreifende Effekt war eklatant: Es musste ein deutlicher Teil weniger Kündigungen ausgesprochen werden. Und: es war festzustellen, dass selbst austretende Mitarbeitende insgesamt immer noch konstruktiv auf das Unternehmen zu sprechen waren. 

Effekt für das Unternehmen

Nicht nur mussten weniger Entlassungen ausgesprochen werden: es war auch ein Beteiligungs- und Energetisierungseffekt feststellbar, denn die Teams hatten sich gemeinsam neu gebildet und Entscheidungen getroffen. Manche Teamleiter sprachen von einer Teamentwicklung.

Darüber hinaus gab es einen deutlichen Mehrwert, indem das Unternehmen, als der Markt wieder anzog, immer noch Mitarbeitenden „hatte“, die nicht erst neu gesucht werden mussten. Und: die Bindung zu den Mitarbeitenden war stark.

Die Voraussetzungen

Was leicht klingt, verlangte natürlich eine sorgfältige und zeitintensive Vorbereitung und Mitarbeit des Managements. Eine solche Vorgehensweise ist nicht auf die Schnelle und umsonst zu haben. Die Firma hatte schon langjährige eine gute und niederschwellige Beteiligungs-Kultur mit den Mitarbeitenden gelebt. Es gab eine Tradition von Kursen in Gewaltfreier Kommunikation (GFK) und es herrschte eine inhabergeführte flache Hierarchie. Viel wurde für Kulturarbeit ausgegeben; sie war lange Jahre aufmerksam gepflegt worden. Und nicht zuletzt waren die Anstellungsbedingungen ausserordentlich attraktiv; nicht zuallererst in puncto Entlohnung, sondern Flexibilität. Es gab wahlweise Voll- und Teilzeitmodelle und viel unbezahlten Urlaub, der teilweise zur eigenen persönlichen Fortbildung genutzt werden konnte.

Und schliesslich war auch der Einsatz des Topmanagements selber ein ganz besonderer: nicht nur, dass dieses selbst seine Zahl als Gremium verringert hatte, es hatte auch selbst bei den Wahlen in den Teams eine Rolle bei der Moderation inne, was einem grossen zeitlichen Einsatz entsprach. Die Würdigung dieses Aufwandes und seine Glaubwürdigkeit wurde anerkannt. Der Abbauprozess wurde so glaubwürdig, mitfühlend und strukturiert durchgeführt und führte letztlich zu einem immer noch loyalen Verhältnis gegenüber dem Arbeitgeber. 

So wie einige der Teamleitungen berichteten, wurde das ganze Verfahren auch als Teamentwicklung betrachtet. Gemeinsame Erfahrung schweisst zusammen. Dazu passt, dass das Unternehmen stets Wert auf die eigenen Werte gelegt hatte. Es nutzte auch die Gelegenheiten, Identität zu schaffen, z.B. in Form von „Brandings“ und  Gemeinsamkeit. Storytelling erlaubte es, einen „Gründungsmythos“ zu pflegen und immer wieder auf die eigenen Besonderheiten zu verweisen.

Weitere Konsequenzen: Transparenz und Kommunikation 

Nicht zuletzt gelang die Transformation in eine gewandelte Struktur über gute und offene Kommunikation und hohe Transparenz. Auch die Sprache von Vorgesetzten bis zum CEO war eine persönliche und der menschliche, die den tief aufwühlenden Aspekt eines solch schweren Verfahrens nicht leugnete. Transparenz über die aktuelle Lage des Unternehmens und Zugang zu möglichst viel Wissen und – Lernen – sind unabdingbar und gehören gelebt. 

Es gibt also Alternativen zu einfachen „Massenentlassungen“; der Weg dahin erfolgt aber durch eine langjährige glaubhafte Kulturarbeit und einer ehrlichen Grundhaltung zwischen Management und den Teammitgliedern. Zum Weiterlesen sei die Neuauflage des Grundlagenwerkes zur Soziokratie von Barbara Strauch empfohlen: Organisationsstrukturen zur Stärkung von Beteiligung und Mitverantwortung des Einzelnen in Unternehmen, Politik und Gesellschaft. 2. Auflage, Vahlen 2022. 

Besser Zusammenarbeiten - besseres Onboarding mit Wissenstransfers - unlösbar scheinende Probleme mit Moderation zu einer Lösung führen - Speaker - Inspirationsquelle für Geschäftsleitungen

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