Was sind Podcasts und wieso boomen sie?

Zielgruppen, Autoren und Wege zum Erfolg

Kein Tag vergeht, an dem kein neuer Podcast für Schlagzeilen sorgt. Hörerinnen freuen sich über packende Geschichten, während Journalistinnen und Marken das Medium Podcast als neuen Kommunikationskanal entdeckt haben.

Podcasts sind in aller Ohren: Bereits heute hört jede/r Dritte mindestens gelegentlich einen Podcast. Und die Zahl der Podcast-HörerInnen soll sich in den nächsten Jahren verdoppeln. Immer mehr Kreative starten eigene Podcasts und immer mehr Firmen sehen Podcasts als direkten Draht zu ihrer Zielgruppe.

Anfang Jahr ereignete sich ein denkwürdiger Moment: Zum ersten Mal sagten in einer Umfrage mehr als die Hälfte der Befragten, sie hätten schon mindestens einmal im Leben einen Podcast gehört. Viele Zug- und Autofahrer, Joggerinnen und Hobbyköche können sich ein Leben ohne Audio-Geschichten nicht mehr vorstellen.

Was ist ein Podcast?

«Podcast» ist eine Wortschöpfung aus dem legendären Apple iPod und dem englischen Wort «Broadcast». Der Begriff bezeichnet lediglich den Verbreitungskanal: Alles, was klingt und via App oder iTunes abonnierbar ist, gilt als Podcast. Auch Video-Podcasts sind möglich, doch weit weniger verbreitet. In diesem Artikel geht es ausschliesslich um Audio.

Die Inhalte und Macharten von Podcasts gehen weit auseinander. Losgetreten hat den Boom das True-Crime-Format «Serial», in dem Journalistinnen in aufwändig produzierten Hörstücken einen echten Mordfall neu aufrollten. In eine einzige Episode solcher Podcasts fliessen dutzende, manchmal hunderte Arbeitsstunden.

Viel häufiger sind indes einfacher gestrickte, aber nicht minder hörenswerte Formate wie «Hotel Matze»: Zwei oder mehr Personen unterhalten sich über ein Thema, zeichnen das Gespräch auf und veröffentlichen es am Stück. Man spricht von «Laberpodcasts», was wahre Fans aber keineswegs despektierlich meinen.

Jede/r Dritte hört bereits Podcasts. Und die globale Podcast-Hörerschaft soll sich laut Google in den nächsten Jahren verdoppeln.

Erfunden worden ist das Podcast-Format bei Apple, wo es lange ein Schattendasein fristete, bevor es mit dem Aufkommen von Smartphones explodierte. Mittlerweile zählen Statistiker rund 700’000 Podcasts – und die Zahl wird weiter steigen. Denn mittlerweile pusht Google das Format. Man wolle die globale Podcast-Hörerschaft in den nächsten Jahren verdoppeln, verkündete Google-Manager Zack Reneau-Wedeen. Der dritte grosse Player ist Spotify. Der schwedische Musikstreamer hat kürzlich das Podcast-Label Gimlet und den Hoster Anchor aufgekauft und die Kriegskasse ist weiter gefüllt: 500 Millionen Franken will Spotify ins Podcasting stecken. Aus gutem Grund, denn Podcasts werden von einer sehr attraktiven Zielgruppe gehört.

Wie hört man einen Podcast?

Das ist das Schöne am Format: Jede und jeder im Besitz eines Smartphones hat einen Podcast-Player in der Hosentasche. Auf iPhones ist «Apple Podcasts» vorinstalliert. Einfach öffnen, einen Begriff ins Suchfeld eintippen oder einen der vorgeschlagenen Titel antippen, schon hört man.

Auf neueren Android-Telefonen ist die App «Google Podcasts» installiert, die ganz ähnlich funktioniert. Ansonsten empfiehlt sich Pocket Casts oder Spotify. Letztere App verwenden viele bereits fürs Musik-Streaming. Über die Suche werden aber auch Podcasts gefunden.

Wer konsumiert Podcasts?

Das hat die Werbe- und Marktforschungsstelle der ARD, die AS&S, repräsentativ für Deutschland untersucht. Demnach kannten 2017 gut 50% der Befragten den Begriff «Podcast». 30% hatten in den letzten 12 Monaten mindestens einen Podcast gehört. 15% gaben an, wöchentlich mindestens einen Podcast zu hören. Das entsprach damals allein in Deutschland einer Hörergruppe von 10-20 Millionen Personen – das Publikum im restlichen deutschsprachigen Raum noch nicht eingerechnet.

30% der Hörerinnen und Hörer sind unter 30 Jahre alt. 40% gehören zur Gruppe der 30-49-Jährigen. Und immer noch 30% sind über 50 Jahre alt.

Auch die weiteren Merkmale machen die typischen Podcast-Hörerinnen und Hörer zu einer attraktiven Zielgruppe: Sie sind laut Studie gut gebildet und haben ein überdurchschnittliches Einkommen. Ausserdem lassen sie sich mit Podcasts differenziert ansprechen, indem die Episoden massgeschneidert werden für die eigene Zielgruppe.

Podcast als Hobby

Viele Kreative machen Podcasts aus reinem Spass. Projekte wie «Herrengedeck» sind Werke purer Leidenschaft. Es geht den Macherinnen und Machern nicht (primär) ums Geldverdienen, sondern um die Community und ums Thema. So hat etwa die Schweizer Journalistin Giulia Creasta ihren Sex-Podcast «spitzohr» deshalb ins Leben gerufen, weil ihrer Meinung nach zu wenig offen über Sex geredet wird. Sie mache den Podcast in erster Linie für ihr Umfeld, sagt sie. Wenn sonst noch Menschen zuhören, sei das ein schönes Plus.

Journalistische Podcasts

Die zweite Motivation ist eine journalistische: Immer mehr Medienhäuser experimentieren mit dem Format. So hat das Schweizer Radio SRF erfolgreich die Reihe «Edi» über das Leben eines Kleinkriminellen lanciert. Die Audiostücke wurden zuerst als Podcast lanciert und erst viel später am Radio ausgestrahlt. Die Süddeutsche Zeitung vertieft in «Das Thema» jeden Mittwoch einen Schwerpunkt, den die Zeitung gerade behandelt. Und Die Zeit produziert mit «Servus, Grüezi, Hallo» einen trinationalen «Laberpodcast», in dem sich je ein Journalist aus Deutschland, Österreich und der Schweiz über die Eigenheiten der drei Länder unterhalten. Die Medienhäuser haben den Vorteil, dass ihre Journalistinnen und Journalisten das Storytelling beherrschen (auch wenn sich die Printjournalisten erst noch das Audio-Know-How aneignen müssen) und dass sie über eine grosse Plattform verfügen, mit der sie die Podcasts bekannt machen können. Auch die grossen amerikanischen Podcast-Vorbilder «This American Life», Radiolab oder Serial sind journalistischer Natur.

Podcasts als Marketing-Kanal für Brands

Die dritte Gruppe von Podcast-Produzenten sind Marken und Unternehmen, die Podcasts als Kommunikationskanal und Marketinginstrument entdeckt haben. Das Taxiunternehmen Lyft portraitiert seine Fahrer in «Pick me up», Slack erzählt in «Slack Variety Pack» Geschichten aus der Arbeitswelt und in «HeadLights» spricht Daimler-CEO Dieter Zetsche höchstpersönlich über seine Anfänge beim deutschen Autobauer. In einer Zeit, in der die Medien mit schwindender Reichweite zu kämpfen haben, suchen Unternehmen nach neuen Kommunikationskanälen. Neben Social Media, das sie mit Kurzfutter bespielen, setzen sie für längere, komplexere und intensivere Inhalte auf Podcasts. Sie schätzen den direkten Draht, den sie zu ihren grössten Fans knüpfen können. Dass typische Podcast-HörerInnen überdurchschnittlich kaufkräftig sind (siehe oben), erhöht die Attraktivität des Mediums noch.

Die Qualität von Firmen-Podcasts geht weit auseinander: Einige machen erste Versuche In-House, haben gehört, Podcasting sei easy und starten einfach mal. Andere setzen auf professionelle Podcast-Agenturen wie Gimlet Creative (USA), Podcastmania (Deutschland) oder die Schweizer Podcast-Schmiede.

Einfacher Einstieg, steiler Weg zum Gipfel

Das Schöne am Medium Podcast ist ja tatsächlich die tiefe Einstiegshürde. Jeder kann zum Podcaster werden. Die Kehrseite davon ist, dass viele Podcasts in der Masse der Neuerscheinungen untergehen. Zwar gibt es immer mehr Hörerinnen und Hörer, diese haben jedoch eine schier endlose Auswahl. Deshalb braucht es für einen erfolgreichen Podcast ein starkes Konzept mit klarem Fokus, Audio-Know-How, gutes Marketing und ganz viel Ausdauer. Dazu mehr in einem späteren Artikel.

Nico Leuenberger ist Gründer der Podcast-Schmiede, die Podcasts für Brands und Organisationen produziert. Er moderiert den Podcast des Think Tanks Avenir Suisse und hat mit "abverheit - Ideen, die nicht funktionierten" einen Podcast übers Scheitern kreiert. Nico hat Journalismus und Organisationskommunikation studiert und lange beim Radio gearbeitet, bevor er sich der Zukunft des Audio-Storytelling verschrieb.

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