Einführung in das agile Projektmanagement inkl. Erläuterungen für Führungskräfte
Mit neuen Projektkulturen komplexe Herausforderung meistern und agiles Projektmanagement verstehen
Die Nachfrage nach agilem Projektmanagement steigt in vielen Unternehmen. Doch warum ist das so? Und welche wichtigen Faktoren sind bei der Einführung agiler Arbeitsmethoden in Projekten zu beachten?
Der Druck zu mehr Agilität in Projekten nimmt deutlich zu. Im vergangenen Jahr hatte ich viele Gelegenheiten, mit erfahrenen Projektmanagern, sowohl Freiberuflern als auch Angestellten von Unternehmen, intensive Gespräche zu führen. In diesen Gesprächen ging es immer wieder um den Wunsch und den Druck des Managements, Projekte mit agilen Methoden durchzuführen. Und obwohl der Begriff „agil“ in aller Munde ist und agiles Coaching zum Standard wird, wurde mir schnell klar, dass die Vorstellungen über agiles Projektmanagement sehr unterschiedlich und oft nur vage sind. So wird die Notwendigkeit agiler Arbeitsmethoden häufig mit einer „schnelleren Anpassungsfähigkeit“ begründet.
Nach mehr als 15 Jahren Erfahrung im Management komplexer Unternehmensprojekte ist es mir daher wichtig, meine Expertensicht auf die Notwendigkeit und die Hintergründe agiler Projektarbeit zu teilen. Und daraus sowohl meine Erwartungen als auch meine Manöverkritik an der aktuellen Umsetzung abzuleiten.
Index
Warum brauchen wir agiles Projektmanagement?
Zunächst möchte ich mich entschieden gegen die Vorstellung wehren, Agilität in Projekten sei ein vorübergehender Hype oder eine Buzzword-Spielerei. Unsere Projekte und ihre Rahmenbedingungen haben sich in den letzten 20 Jahren massiv verändert.
Die oft zitierte „komplexe Welt“ hat Einzug in unsere Unternehmen gehalten und wirkt sich besonders auf Projekte aus. Während in der Linienorganisation Standardisierung und Optimierung Vorrang haben, müssen wir in Projekten die volle Komplexität und Kreativität entfesseln. Projekte stehen heute im Mittelpunkt der unternehmerischen Entwicklung. Ohne einer gut entwickelten Projektkultur werden sich Unternehmen nicht mehr schnell genug an die stetigen Veränderungen anpassen können.
Was ist aber in den letzten 20 Jahren passiert? Warum führt das langjährige Wasserfallmodell in Projekten nicht mehr zum Projekterfolg? Die Menschen sind uns passiert!
Menschen sind komplexe Wesen und sind zunehmend zu einem wesentlichen Bestandteil unsere heutigen Projekte geworden. Ob als Auftraggeber, Kunden oder Projektteams, als Betroffene oder als Stakeholder. Sie alle nehmen heute einen massiven Einfluß auf unsere Projekte und wollen ihre Bedürfnisse berücksichtigt wissen. Das war nicht immer der Fall.
Das Wasserfallmodell hatte seine Berechtigung in jenen Zeiten, wo wir es in unseren Projekten hauptsächlich mit trivialen Maschinen zu tun hatten. Sei es im Anlagenbau, im Maschinenbau oder auch in der IT- und Softwareentwicklung. Triviale Maschinen reagieren wie erwartet. Jeder Input oder Impuls erzeugt einen vorhersehbaren Output. Der Segen der Industrialisierung.
Wir Menschen sind jedoch keine trivialen Maschinen – wir sind komplexe Wesen. Ein Projektimpuls oder eine Information kann bei verschiedenen Menschen unterschiedliche Reaktionen hervorrufen. Nicht leicht vorhersehbar. Und dann kommen noch Timing, Stimmung und Gruppendynamik ins Spiel. Menschen sind nicht-triviale Systeme. Sie sind „soziale Systeme“, wie wir Systemiker sagen. Komplexe Wesen also.
Und der Einfluss von Menschen auf unseren Projekterfolg nimmt deutlich zu. In vielen Projekten wird der Projekterfolg sogar weitgehend durch die Meinung und Stimmung der Projekt-Stakeholder bestimmt – unabhängig von den tatsächlich messbaren Ergebnissen eines Projektes. Unter diesem zunehmenden Einfluss wurden unsere Projekte immer komplexer. Und alle Projektmanager:innen, die diese Erfahrung bereits gemacht haben, werden mir sicher zustimmen: Um hier erfolgreich zu sein, braucht es ein agiles Projektmanagement.
Was verstehen wir unter agilem Projektmanagement
Das agile Projektmanagement muss also die in der Lage sein, diesen unvorhersehbaren Einfluss von allerlei Personen auf unser Projekt bestmöglich zu berücksichtigen. Und es muss vor allem in der Lage sein, sich an wechselnde Meinungen und Einschätzungen wichtiger Einflussnehmer wie Projektsponsoren, Lenkungsausschüssen und dem Projektteam anzupassen. Meine langjährige Praxis hat mir sogar gezeigt, dass es hilfreich ist, wenn Projektauftraggeber ihre Projektziele aufgrund neuer Erkenntnisse entlang eines Projekts anpassen.
Der Kernaufgabe des agilen Projektmanagements ist nun diese Veränderungen zu erfassen und zu berücksichtigen. Vielmehr, wenn wir heute davon ausgehen können, dass sich wichtige Projektziele und Rahmenbedingungen im Laufe eines Projektes verändern werden, ist es wichtig diese proaktiv anzugehen. Agilität ist also nicht nur die Fähigkeit sich auf Unvorhergesehenes rasch und bestmöglich einzustellen. Ein agiles Projektmanagement geht von diesen Veränderungen aus und wird antizipativ und initiativ damit umgehen können (vgl. Wikipedia „Agilität“).
Um diesen Anspruch gerecht zu werden, stehen uns eine Reihe von agilen Projektmethoden, wie Kanban, Sprints, Lean, Prince2, Design Thinking, etc. zur Verfügung. Sie alle lassen sich mit einer Online-Suche leicht finden und auch über Video-Tutorials erlernen. Es gibt jedoch eine wichtige Voraussetzung für die effektive und produktive Nutzung dieser Methoden, die oft übersehen wird. Für die Arbeit mit agilen Methoden benötigt es eine bestimmte Haltung: das „Growth Mindset“. Zu dieser Einstellung gehören Eigenschaften wie Offenheit für neue Ideen, Neugier, Lernbereitschaft und Fehlertoleranz.
Mit einem Growth Mindset sind wir in der Lage, Veränderungen als Chancen für Wachstum und Lernen zu sehen und nicht als Hindernisse, die wir vermeiden müssen. Wir sind bereit, neue Dinge auszuprobieren, mit verschiedenen Ansätzen zu experimentieren und Feedback und Ratschläge von anderen einzuholen. Alles Voraussetzungen um agile Methoden wirksam einzusetzen.
Und dann braucht es noch Agile Leadership, einen antizipativen Führungsstil. Er ist der Schlüssel um gemeinsam im Projektteam über die Zukunft nachzudenken. Und zwar nicht ängstlich, aus unseren vergangenen Erfahrungen heraus, sondern konstruktiv und vorausschauend. Wenn wir eine gute Vorstellung zukünftiger Entwicklungen haben, können wir uns schon heute darauf einstellen und werden als Projektleiter:innen von ihnen nicht mehr überrascht. Wir werden und bereits darauf eingestellt und die richtigen Maßnahmen eingeleitet haben.
Was können wir von einer agilen Arbeitsweise erwarten?
Wenn es um agiles Projektmanagement geht, ist es wichtig zu verstehen, dass es einen erheblichen Mehraufwand erfordert. Viele Menschen gehen davon aus, dass die Einführung eines agilen Ansatzes schnell und einfach erfolgen kann, aber das ist nicht der Fall. Es geht eben darum, nicht nur ein paar neue „agile“ Projektmethoden einzuführen, sondern auch eine neue Projektkultur und eine agiles Mindset zu entwickeln.
Wir können erst dann entscheiden, ob sich der Aufwand eines agilen Projektmanagements lohnt, wenn wir wissen, wie viel Einfluss die betroffenen und beteiligten Personen auf den Erfolg unseres Projekts haben werden. Zum besseren Verständnis möchte ich drei Beispiele dafür anführen, wie sich soziale Komplexität auf unsere Projekte auswirken kann und wo der Einsatz eines agilen Projektmanagements von Vorteil ist:
Umgang mit vielfältigen und sich ändernden Projektzielen
Die Notwendigkeit mehrere, oft konkurrierende Projektziele gleichzeitig zu berücksichtigen kann eine entmutigende Aufgabe sein. Oft umfassen diese Ziele Faktoren wie Kosten, Zeitplan, Qualität, Umfang und Ressourcen, die nicht immer miteinander in Einklang stehen. Dieser sogenannte „Scope Creep“ besteht selten beim Start eines Projektes, sondern entwickelt sich erst im Laufe der Zeit. Wenn wir lernen, die Beweggründe hinter jedem dieser Ziele zu verstehen und vorausschauend an die Sache herangehen, können wir sicherstellen, dass jeder Aspekt die Aufmerksamkeit erhält, die er verdient.
Versteckte und widersprüchliche Erwartungen ausgleichen
Oft sind es die versteckten und widersprüchlichen Bedürfnisse und Erwartungen unserer Stakeholder, die uns das Projektmanagement schwer machen. Manchmal fühlen wir uns wie Sisyphus, der ständig mit neuen Steinen beladen wird, ohne Hoffnung auf ein Ende. Wenn wir aber mit einem „Growth-Mindset“ an das Projekt herangehen, neugierig sind und aufmerksam zuhören, um die Anliegen zu verstehen, kann das zu einem kooperativeren und ausgewogeneren Projektumfeld führen.
Die Meinung und das Verhalten der Stakeholder verändern
Wo sind heute Grenzen der praktischen Umsetzung?
„So-zu-tun-als-ob“ ist derzeit eine der häufigsten Ursachen für das Scheitern von mutmaßlich agilen Projekten. Schlimmer noch, sie gibt jenen Kritikern agiler Arbeitsmethoden Auftrieb, die schon immer der Meinung waren, dass sich der Aufwand nicht lohnt. Wenn dadurch noch das Management verunsichert wird, bleibt die Entwicklung eines effektiven, agilen Projektmanagements üblicherweise gänzlich auf der Strecke.
Ein typisches Beispiel für so-zu-tun-als-ob ist die Einführung von „Stand-Up Meetings“ (einer der bekanntesten, agilen Methoden), die aber als reine Selbstdarstellungsplattform für die Projektleitung dient. Oder die Einführung von agilen Rollenbeschreibungen, wie „Business-Owner“ oder „Product-Owner“, bei gleichbleibender Arbeitsweise. Es ist natürlich sehr verlockend, neue, moderne Bezeichnungen und Methoden einzusetzen um sich in deren „agilem“ Licht zu sonnen. Setzen wir aber agile Methoden ein, ohne deren Zweck zu erfüllen, handeln wir kontraproduktiv.
Ein ebenso großes Hindernis für die Einführung eines agilen Projektmanagements ist eine bestehende „Fixed Mindset“ Unternehmenskultur. In einem solchen Umfeld ist das Bedürfnis nach Sicherheit, Berechenbarkeit und Unveränderlichkeit zu stark ausgeprägt, um sich mit agilen Arbeitsmethoden durchzusetzen.
Die, für einen agile Arbeitsweise notwendige Selbststeuerung der Projektleitung wird durch massive Eingriffe von außen verhindert. Entscheidungen werden nach „gründlicher Prüfung“ und auf undurchsichtige Weise vom Projekt-Leitungsgremium getroffen. Externe Faktoren wie regulatorische Anforderungen, die finanzielle Situation, Kundenbedürfnisse oder die Marktbedingungen werden als Argumente vorgeschoben. Willkommen zurück im Wasserfall.
Und schließlich ist es mir noch ein Anliegen hervorzuheben, dass Methoden-Gläubigkeit nicht notwendigerweise ein erfolgreicher Pfad zur agilen Projektarbeit ist. Agiles Arbeiten sollte nicht mit dem Einsatz einer (1) agilen Methode verwechselt werden. Der weit verbreitete Grundsatz „lass uns einfach mit einer agilen Methode starten und sehen, was sie kann“ hat großes Potential ebenso zu scheitern wie das „so-zu-tun-als-ob“.
Erfolgreiches, agiles Projektmanagement ist ein Strauß verschiedener Methoden, die zielgerichtet und gleichzeitig eingesetzt werden müssen. Unser Growth Mindset und unser agiler Führungsansatz sind dabei der Kompass, der uns sagt, welche Methoden gerade die geeignetsten sind.
Das richtige Grundprinzip in der agilen Arbeit ist „Form follows Function„, und nicht umgekehrt. Was bedeutet das? Nicht die einzelne, gut aussehende und gut klingende agile Methode wird uns zum Ziel führen, sondern der Zweck, dem sie dient. Frage dich im agilen Projektmanagement also immer zuerst, welche Erkenntnisse du gewinnen willst und welche Absicht du verfolgst, und dann erst greife zu den passenden Methoden, die dich dorthin führen.
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