Innovationsmanagement nach ISO 56002

Wie Unternehmen mit dem neuen Standard für Innovationsmanagement ihre Innovationsfähigkeiten und -leistungen kontinuierlich verbessern und nachhaltig Wert schaffen

ISO-Standards wie die ISO 9001 und die ISO 14001 gehören weltweit zu den populärsten Managementsystemen für Unternehmen. Mit der ISO 56000-Familie führt die International Organization of Standards zurzeit eine neue Reihe für Innovationsmanagement ein. Dieser Artikel erklärt die Bestandteile des Standards, die Vorteile für Unternehmen sowie den im Mittelpunkt dieser Reihe stehenden Leitfaden für Innovationsmanagementsysteme ISO 56002.

Eine Google-Suche nach dem Thema „Innovationsmanagement“ liefert über eine Milliarde Treffer. Diverse Studien unterstreichen die hohe Bedeutung, die Innovationen für das Erreichen der Wachstumsziele und der Existenzsicherung von Unternehmen hat. Auf der anderen Seite verdeutlichen zahlreiche Untersuchungen die Schwierigkeiten von Unternehmen bei der Umsetzung von Innovationen. Beispielsweise haben nur 21% der Führungskräfte Vertrauen in die Fähigkeit ihres Unternehmens, neue Wachstumschancen umzusetzen, und glauben, dass das Unternehmen über das hierfür erforderliche Fachwissen, die Ressourcen und das Engagement verfügt [1]. Lediglich 6% der Führungskräfte sind mit der Innovationsleistung ihres Unternehmens zufrieden [2]. Zudem fällt es mehr als der Hälfte der Unternehmen schwer, die Innovationsstrategie mit der Geschäftsstrategie abzustimmen [3].

Vor dem Hintergrund dieses Missverhältnisses zwischen Wichtigkeit und Erfolg von Innovationen wird im Folgenden erörtert, welchen Beitrag die von der International Organization for Standardization (ISO) geschaffene ISO 56000-Reihe zur Etablierung eines Innovationsmanagementsystems leisten kann.

Warum ist die ISO 56000-Reihe für Unternehmen relevant?

Die Innovationsfähigkeit eines Unternehmens stellt einen Hauptfaktor für sein nachhaltiges Wachstum und langfristiges Überleben dar:

  • Eine Untersuchung von PwC zeigt, dass überdurchschnittlich innovative Unternehmen um 16% schneller wachsen als andere Unternehmen [4]. Unter anderem weisen besonders innovative Unternehmen ein höheres Wachstum hinsichtlich Umsatz, Gewinn und Marktkapitalisierung auf [5].
  • Die Lebenserwartung von Unternehmen hat sich in den letzten Jahren deutlich verkürzt. Beispielsweise geht der „2021 Corporate Longevity Forecast“ davon aus, dass sich die Lebenserwartung eines Standard & Poor´s 500-Unternehmens von 30-35 Jahren in den 1970ern auf 15-20 Jahre in diesem Jahrzehnt ungefähr halbieren wird [6]. Eine ähnliche Lebenserwartung belegt eine Untersuchung von Creditreform für Unternehmen in Deutschland. Demnach wiesen im Jahr 2018 aus dem Handelsregister gelöschte Unternehmen ein Durchschnittsalter von 16 Jahren auf [7]. Vor diesem Hintergrund verdeutlicht eine Untersuchung von Zhexembayeva die Notwendigkeit für Unternehmen, sich alle drei Jahre neu zu erfinden [8].
  • Angesichts einer von vielen Ökonomen erwarteten Rezession zeigen diverse Untersuchungen, dass es für die langfristige Entwicklung eines Unternehmens nicht ausreicht, sich auf Kostenreduzierungen und andere kurzfristige Maßnahmen zur Existenzsicherung zu konzentrieren. Vielmehr ist es erforderlich, eine langfristige Perspektive einzunehmen und gezielt in die Zukunft zu investieren. Hierzu gehören insbesondere Investitionen in Forschung & Entwicklung sowie Innovation [9]. Dies unterstreicht auch eine Untersuchung besonders innovativer Unternehmen, die während der Finanzkrise 2007 – 2009 und in den ersten Jahren danach sogar noch deutlich besser im Vergleich zu weniger innovativen Unternehmen abschnitten als in anderen Zeiträumen [10].

Innovation und Standard mögen intuitiv als Widerspruch gesehen werden. Während mit Innovation oftmals Begriffe wie Kreativität und Flexibilität verbunden werden, steht ein Standard für Regeln, Ordnung und Routinen. Beides zusammenzubringen ist für Unternehmen jedoch sinnvoll, da großartige Ideen nur ein Baustein für erfolgreiche Innovationen sind. Wesentlich wichtiger ist die Umsetzung dieser Ideen. Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass die Auswahl der richtigen Ideen, mangelhafte Koordination sowie zu lange Entwicklungszeiten zu den größten Hindernissen für erfolgreiche Innovationen zählen [11].

Welche Themen umfasst die ISO-Reihe zum Innovationsmanagement?

Die ISO 56000-Familie ist eine zehnteilige Reihe von Normen und Leitfäden, die Organisationen durch das Schaffen eines allgemeinen Rahmens bei der erfolgreichen Implementierung, Aufrechterhaltung und kontinuierlichen Verbesserung eines Innovationsmanagementsystems helfen sollen. Im Unterschied zu anderen seit vielen Jahren etablierten ISO-Standards – wie z. B. der ISO 9000-Reihe für Qualitätsmanagement und der ISO 14000-Reihe für Umweltmanagement – befindet sich die 56000-Reihe noch im Anfangsstadium und ist erst teilweise veröffentlicht. Bislang umfasst die ISO-Reihe zum Innovationsmanagement die folgenden sechs veröffentlichten Dokumente und Leitfäden:

  • ISO 56000: Grundlagen und Begriffe
  • ISO 56002: Innovationsmanagementsystem – Leitfaden
  • ISO 56003: Werkzeuge und Methoden für Innovationspartnerschaften 
  • ISO/TR 56004: Innovationsmanagement Assessment 
  • ISO 56005: Werkzeuge und Methoden für IP-Management
  • ISO 56006: Werkzeuge und Methoden für das Management strategischer Informationen

Darüber hinaus sind die folgenden vier Dokumente aktuell in der Entwicklung:

  • ISO 56001: Innovationsmanagementsystem – Anforderungen
  • ISO 56007: Tools und Verfahren für das Ideenmanagement
  • ISO 56008: Werkzeuge und Methoden für die Messung von Innovationsabläufen
  • ISO/DTS 56010: Anschauliche Beispiele für ISO 56000

Was beinhaltet ein ISO 56002 Innovationsmanagementsystem?

Den Kern der ISO 56000-Familie stellt mit der ISO 56002 der Leitfaden zum Aufbau, der Aufrechterhaltung und der fortlaufenden Verbesserung eines Innovationsmanagementsystems dar. Dieser Standard basiert auf dem von der ISO erarbeiteten Rahmen für Managementsysteme. Daher kann er leicht zusammen mit anderen Managementsystem-Normen (z. B. ISO 9001) umgesetzt werden. Die Verwendung anderer ISO-Normen ist jedoch keine Voraussetzung für die Umsetzung der ISO 56002. Sie kann somit auch als alleinstehender Leitfaden übernommen werden.

Die ISO 56002 richtet sich schwerpunktmäßig an etablierte Unternehmen, und zwar unabhängig von ihrer Art, Branche und Größe. Da die Norm ein Rahmenwerk darstellt, das keine detaillierten Aktivitäten, Anforderungen, spezifischen Instrumente oder Verfahren für Innovationsaktivitäten vorschreibt, lässt sie sich jedoch auch von Startups und anderen Unternehmensneugründungen anwenden. Zudem eignet sich die ISO 56002 für alle Innovationsansätze (z. B. interne oder offene Innovation) sowie für alle Arten von Innovationen unabhängig von ihrem Neuigkeitsgrad (z. B. Produkte, Prozesse).

Unter einem Innovationsmanagementsystem wird gemäß ISO ein Satz zusammenhängender oder sich gegenseitig beeinflussender Elemente verstanden, die auf die Schaffung von Wert abzielen. Diese Elemente müssen nicht alle gleichzeitig umgesetzt werden, sondern die Norm ermöglicht auch eine stufenweise Umsetzung. Um jedoch das volle Potential des Standards nutzen zu können, ist die Umsetzung aller Elemente des Systems erforderlich.

Das in der ISO 56002 beschriebene Innovationsmanagementsystem besteht aus den folgenden vier Bereichen (1) Kontext der Organisation, (2) Führung, (3) Unterstützung sowie (4) PDCA-Zyklus.

(1) Kontext der Organisation

Im ersten Bereich des Innovationsmanagementsystems nach ISO 56002 werden die Rahmenbedingungen für den Aufbau und die Aufrechterhaltung des Systems dargestellt. Diese beinhalten das regelmäßige Scannen und Analysieren von externen und internen Themen, die für das Unternehmen und den Erfolg des Innovationsmanagementsystems relevant sind und die Chancen zur Schaffung von Wert bieten. Darüber hinaus sind die Anforderungen und Erwartungen interner und externer Stakeholder sowie der Anwendungsbereich des Innovationsmanagementsystems zu bestimmen. Beim Aufbau des ISO 56002-Systems stehen die Schaffung einer die Innovationsaktivitäten fördernden Unternehmenskultur sowie die Festlegung von Rahmenbedingungen für die interne und externe Zusammenarbeit im Vordergrund. Letzteres zielt unter anderem darauf ab, den Zugang zu Wissen und Kompetenzen und ihren Austausch zu erleichtern.

(2) Führung

Für den Erfolg des Innovationsmanagementsystems sind das Commitment der Unternehmensleitung und die kompetente Förderung des Systems durch die Führungskräfte des Unternehmens entscheidend. Diesem wird in der ISO-Norm dadurch Rechnung getragen, dass zum einen klare Aufgaben und Verantwortlichkeiten der Unternehmensführung im Zusammenhang mit dem Innovationsmanagementsystem dargelegt werden. Zum anderen werden die Wichtigkeit von Innovationsvision, -strategie und -politik durch eine ausführliche Darstellung der diesbezüglich bestehenden Anforderungen unterstrichen.

(3) Unterstützung

Im Bereich „Unterstützung“ wird ein breites Spektrum erforderlicher Rahmenbedingungen für ein funktionierendes Innovationsmanagementsystem aufgeführt. Hierzu gehört die Bereitstellung der notwendigen Ressourcen (z. B. Personen, Zeit und Finanzen) und Kompetenzen. Darüber hinaus werden Anforderungen an die interne und externe Kommunikation sowie die Dokumentation von Informationen beschrieben. Schließlich sind Instrumente und Verfahren des Innovationsmanagements sowie das Management strategischer Erkenntnisse und des geistigen Eigentums Gegenstand dieses Bereichs der Norm.

(4) PDCA-Zyklus

Den größten Baustein der ISO 56002 stellt der bereits in der ISO 9001 im Mittelpunkt stehende PDCA-Zyklus dar. PDCA steht für Plan-Do-Check-Act und beschreibt einen vierstufigen Regelkreis eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses.

  • „Planen“: Die Planung von Innovationen und des Innovationsmanagementsystems widmet sich zunächst dem Umgang der mit Innovationsaktivitäten einhergehenden Unsicherheit und den sich ergebenden Chancen und Risiken. Zudem werden in diesem Abschnitt Innovationsziele und die Planung zur Erreichung dieser Ziele, der Aufbau relevanter und anpassungsfähiger Organisationsstrukturen sowie das Management von Innovationsportfolios thematisiert.
  • „Durchführen“: Die Umsetzung von Innovationen wird unter dem Begriff „Betriebsabläufe“ behandelt. Im Mittelpunkt steht die Darstellung eines allgemeinen Innovationsprozesses mit den Phasen „Chancen identifizieren“, „Konzepte erarbeiten“, „Konzepte validieren“, „Lösungen entwickeln“ und „Lösungen bereitstellen“.
  • „Prüfen“: Die Leistungsbewertung fokussiert sich sowohl auf Innovationsinitiativen und -aktivitäten als auch auf die Wirksamkeit und die Effizienz des Innovationsmanagementsystems. Es gilt unter anderem festzulegen, was auf Basis welcher Leistungsindikatoren bewertet wird, welche Werkzeuge hierbei verwendet werden sowie die Zeiträume und Verantwortlichkeiten der Bewertung. Darüber hinaus sieht die ISO 56002 regelmäßige interne Audits und Managementbewertungen des Innovationsmanagementsystems vor.
  • „Handeln“: Auf Basis der vorherigen Leistungsbewertung sind Maßnahmen zu ergreifen, um die Stärken des Innovationsmanagementsystems aufrechtzuerhalten, Schwächen zu beseitigen und Abweichungen von der Norm zu korrigieren.

Fazit zu ISO 56002

Auch wenn die Einführung und Umsetzung eines Standards im Zusammenhang mit Innovationen zunächst widersprüchlich und irritierend wirken mag, bietet die ISO 56000-Reihe doch erhebliche Chancen für den Aufbau eines erfolgreichen Innovationsmanagementsystems. Die Schaffung eines strukturierten und ganzheitlichen Rahmens hilft Unternehmen bei der Entwicklung eines einheitlichen Verständnisses von Innovation und vereinfacht somit die interne und externe Kommunikation und Kollaboration. Zudem verdeutlicht die Norm die Vielzahl an Bausteinen und Bedingungen, die für den Aufbau eines nachhaltig erfolgreichen Innovationsmanagementsystems erforderlich sind. Gleichzeitig werden Unternehmen durch den Verzicht auf konkrete und detaillierte Vorgaben von Werkzeugen, Aktivitäten u. ä. bei ihren Innovationsaktivitäten nicht unnötig eingeschränkt. Schließlich wird durch die im PDCA-Zyklus hervorgehobene Messung und Bewertung der Innovationsaktivitäten und des Innovationsmanagementsystems die Basis für eine kontinuierliche Verbesserung der Innovationsfähigkeiten und -leistungen des Unternehmens geschaffen.

Quellen

[1] Jordan Bar Am / Laura Furstenthal / Felicitas Jorge / Erik Roth, Innovation in a crisis: Why it is more critical than ever, https://www.mckinsey.com/business-functions/strategy-and-corporate-finance/our-insights/innovation-in-a-crisis-why-it-is-more-critical-than-ever, June 17, 2020.

[2] McKinsey, Growth and Innovation, https://www.mckinsey.com/business-functions/strategy-and-corporate-finance/how-we-help-clients/growth-and-innovation.

[3] Volker Staack / Branton Cole, Reinventing innovation: Five findings to guide strategy through execution, Key insights from PwC’s Innovation Benchmark, https://www.pwc.com/us/en/advisory-services/business-innovation/assets/2017-innovation-benchmark-findings.pdf, 2017.

[4] PwC, Innovation – Deutsche Wege zum Erfolg, 2015.

[5] strategy&, 2018 Global Innovation 1000: What the Top Innovators Get Right, https://www.strategyand.pwc.com/gx/en/insights/innovation1000/2018-global-innovation-1000-fact-pack.pdf, October 2018.

[6] S. Patrick Viguerie / Ned Calder / Brian Hindo, 2021 Corporate Longevity Forecast, https://www.innosight.com/insight/creative-destruction, 2021.

[7] Creditreform, Spiel mir das Lied vom Tod der Unternehmen, https://www.creditreform.de/aktuelles-wissen/pressemeldungen-fachbeitraege/news-details/show/spiel-mir-das-lied-vom-tod-der-unternehmen, 23.08.2019.

[8] Nadya Zhexembayeva, The Chief Reinvention Officer Handbook: How to Thrive in Chaos, 2020.

[9] Marcus Liehr, Wie Unternehmen in Krisenzeiten richtig investieren, https://morethandigital.info/wie-unternehmen-in-krisenzeiten-richtig-investieren, 08.08.2022.

[10] strategy&, 2018 Global Innovation 1000: What the Top Innovators Get Right, https://www.strategyand.pwc.com/gx/en/insights/innovation1000/2018-global-innovation-1000-fact-pack.pdf, October 2018.

[11] Michael Ringel / Andrew Taylor / Hadi Zablit, The Most Innovative Companies 2015: Four Factors that Differentiate Leaders, https://web-assets.bcg.com/img-src/BCG-Most-Innovative-Companies-2015-Dec-2015_tcm9-88794.pdf, December 2015.

Marcus is an entrepreneur, consultant, trainer and facilitator. As managing director of zagmates, he helps companies to thrive on their journey of strategic growth and innovation. In addition, Marcus is CEO of Boardle.io - the leading independent portal for online workshop templates. He is passionate about strategic foresight, business modelling and measurement, making ideas tangible and focusing on their impact. Prior, he had been working for more than 15 years in leading positions in international industrial companies focused on marketing, sales, business development and product management.

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