Covid-19: Krisenmodus konkret – von Prävention, Risk Bias und Tokenknappheit

Die globale Bedrohung durch Covid-19 stellt alle Berufe vor digitale Herausforderungen - wie gehen Unternehmen damit um?

Covid-19. Überall nur noch ein Thema. Gestern noch im Open Space und in der Espresso-Lounge, heute im Homeoffice – auf einmal sprechen wir nicht mehr von Flexibilität, sondern von verordneter Heimarbeit. Das Coronavirus scheint die Herausforderung des Jahrzehnts zu sein, auf die niemand gewartet hat. Schon garnicht im Jahr 2020, wo die Lager der Digitalisierung noch immer gespalten sind. Welche Herausforderungen begegnen Unternehmen aktuell in diesem Kontext?

Covid-19 Prävention mag niemand, und keiner will der Erste sein

Vor wenigen Wochen hörte ich es noch, wie viele Kollegen sagten: „It’s just the flu“, während auf Twitter bereits wissenschaftlich dargelegt wurde, warum wir uns tatsächlich mehr Sorgen um das neuartige Coronavirus machen sollten. Es war die Zeit, als man im Supermarkt noch Desinfektionsmittel bekam, Arztpraxen keine Schlösser an ihren Vorratsschränken brauchten und wir mit dem Fernglas gen China sahen.

Doch nach der ersten Welle, die ein Automobilzulieferer mit seinem Namen signieren durfte, kam die Skisaison des Februar – und damit auch die Reisenden zu Hotspots in Tirol. Es ist das österreichische Bundesland, welches vielleicht 2km von unserem Zuhause im Chiemgau liegt, welches seit zwei Tagen zum Risikogebiet erklärt ist. Während ich vorhin noch die Morgensonne genossen habe, dürfen unweit von mir die Menschen nicht mehr vor die Tür. Es ist unwirklich. Ein Traumtag, Sonne, die Natur explodiert förmlich. Doch bereits am Wochenende war der Mailverkehr von dem geprägt, was ich bereits kommen sah: Bleibt zu Hause, reist nicht, setzt die richtigen Prioritäten. Wir haben es zugegeben recht leicht: Berater und Compliance-Experten können eher von zu Hause arbeiten, als viele andere Berufe. Doch drei Aspekte ziehen sich quer durch die ganze Wirtschaft:

  1. Prävention, die als verhindernd gesehen wird, weil die meisten meinen, man müsse sich ja nicht so anstellen
  2. Risk Bias, die individuelle Wahrnehmung von Risiko und der Bereitschaft dazu, dieses einzugehen
  3. Tokenknappheit, ein für mich neues Wort, welches die nicht vorhandene Readiness für flexible Arbeit beschreibt

Ganz gleich, wie digital wir in Beruf und Privatleben werden, wir sind und bleiben Menschen und damit individuell. Unter diesem Aspekt möchte ich die drei Punkte erläutern und Best Practices teilen.

1. Prävention – müssen wir uns jetzt wirklich anders verhalten?

Meinem Amazon Spar Abo verdanke ich, dass wir rechtzeitig auf die Knappheit von Hygienemitteln hingewiesen wurden. Wenn Artikel stärker nachgefragt werden und nicht wie bisher verfügbar sind, wird man benachrichtigt. Ich zögerte nicht lange und erforschte den Markt – schnell war klar: Wir müssen jetzt einkaufen, nicht hamstern, aber uns vorbereiten. Zusammen mit den Zahlen aus Italien und den anderen europäischen Ländern war klar, dass die PDF’s und Materialien des Robert Koch Instituts nun auch bei uns ausgehängt werden müssen, Verhaltensweisen angepasst, Aufmerksamkeit erweckt und aufrecht erhalten werden.

Als jemand, der präventiv denkt muss man ständig abwägen: Zu vorsichtig und am Ende belächelt, zu zaghaft und am Ende mit Reue zurückblickend – ich empfehle stets, etwas mehr „den Kümmerer“ zu spielen. Noch vor einem Jahr, als ich mich mit Kollegen über die Infektionsgefahren der 2019er Grippewelle unterhielt, wurde mir bestätigt, dass ein präventives Reinhalten von Arbeitsplätzen auch bei Kunden zunächst belächelt, am Ende aber mit tatsächlich weniger Krankheitsfällen belohnt wird. Es geht schliesslich nicht um unsere persönliche Meinung, sondern um das unbezahlbare Gut unserer Gesundheit. Das versteht am Ende auch der größte Skeptiker!

2. Risk Bias – für den Einen normal, für den Anderen pure Angst

„Nichts ist ohne Risiko“. Den Spruch kennt denke ich jeder. Deshalb besteht unser Leben aus einer ständigen Bewertung von Risiken und unserem eigenen Appetit, diese einzugehen. Ohne Helm Skifahren? Oder auf’s Rad? Den Laptop sperren, wenn man 5 Meter zum Drucker läuft? Datensicherung täglich, stündlich oder Real-time? Oft sind es Risiken, die wir rein intuitiv behandeln. Mit einer Mehrzahl an unbekannten Parametern wird es jedoch kompliziert. Wie würde man die Frage mit dem Helm beantworten, wenn man nicht weiss, was Skifahren ist? Oder noch nie einen Unfall gesehen hat? Hier kommt das „Unbekannt“ in der Covid-19 Pandemie zum Tragen. Während die ersten deutschen Fälle im Münchner Klinikum sich mit ihrer Infektion vor allem stark gelangweilt haben, starben in China die Menschen im Minutentakt. Aktuell ist mit Italien unser direkter Nachbar betroffen und steht unter Schock. Was ist weit entfernt? Was ist nah? Wie gehen wir mit unbekannten Parametern um?

Das nageliegendste ist, die individuelle Lebenssituation eines jeden Mitarbeiters und Kollegen in den Vordergrund zu stellen. Der eine kommt gerade aus dem Skiurlaub und ist sonst eher vor dem Fernseher. Ein anderer geht ständig in Clubs und macht die Nacht zum Tag. Der dritte ist vielleicht eher häuslich, wohnt dafür aber im Epizentrum des Virus in NRW. Die individuelle Einschätzung des Risikos kann und muss jeder selbst treffen. Besonders wichtig aber: Nicht nur für sich selbst, sondern vor allem für die Anderen! Niemandem ist geholfen, wenn Risiken nur von der eigenen Beurteilung betrachtet und bewertet werden und am Ende der Nächste darunter leidet. Wir rücken also näher zusammen – indem wir uns nicht nur fragen, wie wir mit Risiken umgehen, sondern wie der andere mit meinem Risiko umgeht.

3. Tokenknappheit – wenn die Workforce nur PC und Telefon hat

Für digitale Nomaden, Berater und externe Mitarbeiter ist es ganz normal: Laptop, Smartphone, Ladegeräte und ein Schokoriegel, der Tag kann beginnen. Wo immer wir sind, wir sind bereit und legen los. Ob zu Hause, im Büro, am Bahnhof, beim Kunden. Doch plötzlich trifft die Anforderung an Flexibilität auch diejenigen, welche ihren festen Arbeitsplatz haben – mit PC, Monitor, Tischtelefon, Faxgerät. Wir sind nicht in einer Zeit, wo Flexwork, Home Office und Remote zum absoluten Standard aller Büroangestellten gehören. Und plötzlich muss alles ganz schnell gehen – wo bekommen wir nur auf einmal tausend Laptops und Handies her?

Zum Glück, so muss man sagen, sind viele Mitarbeiter, die nun die Dreifachrolle von Beruf, Elternschaft und Privatleben unter einem Dach orchestrieren müssen, mit den notwendigen Geräten ausgestattet. Funktioniert das bei einem Laptop oder PC zu Hause unter Voraussetzung von VPN noch innerhalb geltender Richtlinien, wird es beim privaten Handy schnell eng – dies ist der Dreh- und Angelpunkt unseres Lebens, wir legen es ja kaum mehr aus der Hand. Plötzlich wird klar, dass Telefongespräche von privaten Nummern, das App-Ökosystem des privaten Handies und die Fotos vom letzten Ausflug ein Compliance-Loch offenbaren. Wo am PC noch der Terminalserver in der Arbeit für eine sichere Umgebung sorgt, sind führende Lösungen zur Trennung von Privat- und Firmendaten auf dem Handy noch bei weitem nicht so stark verbreitet.

Die Krux ist also von heute auf morgen da: Gefühlt sind alle zu Hause, die Hälfte ohne Firmenlaptop und -handy. Haben wir genug VPN-Tokens? Reicht die Bandbreite für 100% Remote Work überhaupt? Sind Handies in ausreichender Stückzahl überhaupt lieferbar? Jetzt heisst es schnell reagieren, und wenn es nur 20-Euro Tastentelefone sind, die mit meist rasch verfügbaren Sim-Karten des Firmenvertragspartners bestückt werden können, um die Lücke schnell zu schliessen.

Im besten Fall ein Wet-Run, im schlimmsten Fall eine Krise

Was bleibt zum Zeitpunkt geschlossener Grenzen, Ausgehverbote und Verknappung von diversen Gütern zu hoffen? Nun, im besten Fall war die Covid-19 Pandemie ein Wet-Run für die Wirtschaft. Während wir in den letzten Jahren wenig für eine volle Digitalisierung unserer Arbeitswelt geschafft haben, könnte der nun unfreiwillig kommende Drift in Richtung Flexwork und Homeoffice endgültig für dessen Akzeptanz und Durchsetzung sorgen. Hoffentlich, denn dann wäre es tatsächlich ein durchlebtes Szenario, wie man es sich in einer Simulation nur hätte vorstellen können. Erwischt es uns in Europa in dem Mass, wie es in der Lombardei der Fall ist, haben wir eine richtige Krise vor uns – nach der nichts mehr so ist, wie es einmal war.

Abschliessend bleibt also die Hoffnung und das Vertrauen auf die menschliche Flexibilität – denn aus den meisten Krisen sind viele Jahrzehnte an florierender Entwicklung von Wirtschaft und Land entstanden. Jetzt liegt es an uns, dies gemeinsam anzupacken.

Philipp Schneidenbach ist Experte auf den Gebieten Enterprise Architecture, Governance, Risk und Compliance. In seiner derzeitigen Position bei Materna vereint er die Erfahrung aus mehr als 25 Jahren Beratung und Linienverantwortung in verschiedenen Industriezweigen und Märkten. Als Autor, Researcher und Speaker engagiert er sich unter anderem in Organisationen und Berufsverbänden wie der IEEE, ISACA und MoreThanDigital.

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