Antidot – Wie die Versicherungsbranche Amazon begegnen muss

Weltkonzern Amazon drängt folgenschwer in die Versicherungsbranche

Es ist schon lange kein Geheimnis mehr: Amazon akquiriert bereits seit vielen Monaten Know-how und Mitarbeiter, sammelt sie insbesondere am Standort London. Das Ziel: Die Versicherungswirtschaft. Die Mission: Dominanz. Die Gegner: Ein Haufen Rentner, teils über 100 Jahre alt.

Der eCommerce-Gigant und Weltkonzern Amazon hat es auf die europäische Versicherungswirtschaft abgesehen: Bereits seit vielen Monaten zieht Amazon am Standort London Know-how und zahlreiche Mitarbeiter zusammen, die Invasion scheint kurz bevor zu stehen. Tatsächlich fürchten nicht wenige Teilnehmer der Versicherungsbranche ganz genau das – den großen „Einmarsch“ von Amazon, die maximale Disruption unseres Ökosystems durch das schnelle Geld aus dem Online-Handel. Aber ist die große Sorge über einen weiteren Player innerhalb unserer Branche wirklich berechtigt? Wie wird Amazon überhaupt auftreten und wer muss hier wirklich Angst haben? Ein dezenter Hinweis vorweg: Es ist u.a. ein Unternehmen, das gar schreckliche TV-Werbung zum Fremdschämen macht.

Eine meiner liebsten Stimmen in der Versicherungsbranche ist die von Dr. Robin Kiera: Dass ich Robin für seine Erfahrung, seine direkte Art und seine Weitsicht schätze, weiß jeder, der in meiner Gegenwart einmal seinen Namen erwähnt hat. Robin Kiera hat seinerzeit eine hervorragende Replik auf die öffentlichen Aussagen des Volkswohl Bund Vorstandsprechers Dietmar Bläsing geliefert, der 2018 die Zeit der großen Veränderungen als stagnierend ansah und nach wie vor das Bild eines Versicherungsmarktes zeichnete, in dem der Vermittler „den Bedarf wecken“ muss.  Robins Antwort: Die gesamte Branche muss kernsaniert werden! Man dürfe Digitalisierung nicht als Bedrohung sehen, sondern muss die Chancen wahrnehmen. „Die Äußerungen von Herrn Bläsing sind nur einige Symptome eines Problems. In vielen Vorstandsetagen deutscher Versicherer wird der epochale Wandel noch unterschätzt.“

Dieser Standpunkt deckt sich mit dem, was Kommunikationswissenschaftler MarKo Petersohn auch bereits 2018 schrieb, nämlich dass die Versicherungsbranche (wenn überhaupt) vor allem ihre Unzulänglichkeiten sieht und die Chancen verkennt, die sie aufgrund ihrer Erfahrung und ihres Standings hat. Das C-Level fürchtet sich vielfach vor der Digitalisierung und begreift sie nur als zusätzlichen Arbeitsaufwand, der Geld und Ressourcen bindet. Doch mit der Angst vor epochalen Veränderungen, wie sie sich mit einem Markteintritt Amazons abzeichnen, verfällt man leider oft nur in eine unnötige Schockstarre, von der niemand profitiert – außer Amazon und den anderen Wettbewerbern, die nicht kooperieren, sondern verdrängen wollen. Denn auch wenn viele InsurTechs heute auf Zusammenarbeit setzen, manche halten die etablierten Strukturen für komplett obsolet und bereit für den großen Clash.

Die Welle von Amazon auf die VersicherungsbrancheDie größten analogen Fehler der Versicherungsbranche

Aus den USA kommt der bekannte Autor Rob Galbraith, dessen Buch „The End Of Insurance As We Know It“ ich gerade lese. Er hat für seine Arbeit in der Branche (speziell der US-amerikanischen) sieben zentrale Fehler im System erkannt, die zu ändern den größten positiven Einfluss auf eine gewollte Evolution der Branche haben sollen.  Er schreibt, die Probleme seien insbesondere:

  1. Zu teure Versicherungspolicen
  2. Unverständliche Bedingungen und Produkte
  3. Zu einfaches Austricksen des Systems
  4. Enormer Einfluss auf die Liquidität finanzsschwacher Versicherter
  5. Nichtabdeckung aller Gefahren
  6. Zahlreiche Ausschlüsse
  7. Nicht jeder Mensch ist mitversichert

Zugegeben: Das klingt an manchen Stellen als „an den Haaren herbeigezogen“, denn irgendwo müssen doch die Grenzen einer Police sein, sonst wird die Prämie zu teuer, was wiederum Punkt 1 auf der Liste füttert. Aber – wir denken wieder aus der Sicht der Versicherungsbranche. Für die Kunden treffen alle genannten Punkte zu. Und was haben wir in den letzten Jahren bitte gelernt? Wir sollen aus der Sicht der Kunden denken (Customer Centricity), wenn wir die Verbindung mit ihm nicht verlieren wollen. Amazon kann das hervorragend. Wir tun uns damit enorm schwer. Die Ansätze von Rob Galbraith gibt es hier in einer kurzen Zusammenfassung.

Die größten digitalen Fehler der Versicherungsbranche

Vor kurzem habe ich zusammen mit Ralf Pispers im Interview über den Einfluss von Personalisierung auf das Kundenerlebnis gesprochen: Wiederum etwas, das Amazon hervorragend kann! Wie Ralf Pispers im Interview sagte – es geht um Transparenz, Verständnis und Vertrauen, damit ein Mensch einen Vertrag abschließt. An allen drei Punkten hapert es innerhalb unserer Branche mehr oder minder stark, wobei Vertrauen noch die kleinste Baustelle sein sollte. Uns fällt die hohe Erklärbedürftigkeit der komplexen Produkte und die fehlende Transparenz über Ein- und Ausschlüsse auf die Füße – und dies deckt sich 1:1 mit den Aussagen von Rob Galbraith. Daran haben auch einige Jahre Digitalisierung und digitale Transformation bisher nur wenig geändert.

Die Versicherungsbranche macht einige Fehler immer und immer wieder:

  • Sie glaubt nach wie vor, stets aus der Vergangenheit für die Zukunft lernen zu können
  • Sie glaubt, dass sie ganz genau weiß, was die Kunden wollen (fragen wird überbewertet)
  • Sie glaubt, man kann Produkte ohne Involvement der Konsumenten entwickeln
  • Sie glaubt, dass ein Kundenportal die ultimative digitale Lösung ist
  • Sie glaubt, Vertrieb funktioniere auch heute noch wie vor 20 Jahren
  • Sie glaubt, dass man den Vertrieb bei der digitalen Transformation gut aufgestellt hat

Um nicht den Rahmen zu sprengen, die Kurzfassung: Jede dieser Annahmen ist – in unterschiedlichen Schweregraden – falsch. Insbesondere das Verkennen der zeitgemäßen Einbindung von Kunden in die Produktentwicklung und die Hybris, dass man schon ganz genau wisse, was der Kunde will, wird den smarteren Playern am Markt eine willkommene Einladung sein.

Amazon als Versicherungsmakler und nicht VersichererAmazon wird Makler – nicht Versicherer

Entgegen anfänglich anders lautender Vermutungen, liegt der Schluss nah, dass Amazon nicht selbst als Produktgeber auftritt, sondern Online-Makler wird, genau wie Check24 – nur hoffentlich mit besserer Werbung. Amazon hat einen gigantischen Datenapparat zur Verfügung und kann Customer Experience wie kaum ein zweites Unternehmen. Ein Versicherungsproduktverkauf über Amazon wird die Transparenz und Verständlichkeit von Produkten zwangsläufig positiv beeinflussen (denn man muss ja erkennen können, was man da kauft), doch de facto wird dies allein sich nicht radikal auf die gesamte Branche auswirken. Es gibt jedoch einen Bereich der Versicherungswirtschaft, der vollkommen zu Recht den Markteintritt Amazons fürchtet und dies ist der mir allerliebste: Der Vertrieb.

Faktische Veränderungen für den Vertrieb

Der Markteintritt Amazons wird die Akzeptanz für den Direktvertrieb weiter fördern. Auch wenn zahlreiche Befragungen davon ausgehen, dass auch in zehn Jahren nicht mehr als 30 % der Kunden bereit sein sollten, ihre Verträge online abzuschließen, so stellt dies doch eine deutliche Steigerung gegenüber dem jetzigen Stand des Online-Vertriebs in der Versicherungsbranche dar. Und es glaubt hoffentlich niemand, dass die großen Player nicht mit Amazon arbeiten werden – das wird exakt so ablaufen, wie bei Check24. Niemand von den großen Versicherern wird sich dieses digitale Zubrot entgehen lassen. Davon werden unter Umständen auch die hauseigenen Direktvertriebe (nach einer Abschwungphase durch den Eintritt Amazons) profitieren, weil eben die Akzeptanz für den Kanal allgemein steigt. Amazon wird dabei den Benchmark für den Direktvertrieb festlegen.

Es sollte somit klar sein: Amazons Markteintritt wird die Konsolidierung des Vertriebs weiter fördern und dafür sorgen, dass Vermittler und Makler stärker denn je ihre eigene Differenzierung und Positionierung werden ausdrücken müssen. Jeder AO-Vermittler hat mit seinem festen Produktpartner erst einmal eine vollkommen austauschbare Position. Warum soll ich zum Huber gehen, geh ich doch lieber zum Mayer?! Es wird mittelfristig nicht mehr ausreichen, eine große Marke als Produktgeber zu haben, ebenso wenig wie es dem Privat-Versicherungsmakler reichen wird, alle Versicherungen anbieten zu können, das kann Amazon dann auch. Daher muss der Vertrieb, auch unabhängig von Amazon, aber gerade deswegen, auf Differenzierung und Positionierung setzen. Denn es ist eben mitnichten so, dass Huber und Mayer austauschbar sind.

Liebe Vertriebler – ihr seid nicht obsolet!

Die Vorteile von Digitalisierung und digitaler Transformation in Vertrieb und Marketing der Assekuranz nutzbar zu machen - das ist die Passion von Sebastian Heithoff (*1986). Der selbstständige Unternehmensberater stieg 2007 in die Versicherungsbranche ein und ist seit 2012 digital unterwegs. Mit Heithoff Consulting setzt er auf die Kernbereiche Digital Enablement und Digitale Positionierung.

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.

This website uses cookies to improve your experience. We'll assume you're ok with this, but you can opt-out if you wish. Accept Read More