WeChat erklärt – Die chinesische Super-App verstehen
WeChat als eine stark wachsende Plattform aus China, welche ebenso weltweit an Bedeutung gewinnt
Was ist WeChat und warum sollte man die Super-App verstehen? Dieser Artikel gibt einen kurzen Überblick über die wichtigsten Fakten sowie auch, warum die Super-App so erfolgreich geworden ist.
Index
Die größte Konkurrenz für das iPhone ist nicht Android, Samsung & Co. oder Chinas Hersteller für Billig-Smartphones. Es könnte eine simple Idee sein: Apps, die in einer einzelnen Anwendung verpackt werden, statt dutzende verschiedene Apps quer über den Bildschirm verteilt zu haben. WeChat ist Chinas führende Social-Media-Plattform, hat genau dies gemacht und hat das Potenzial, die Smartphone-Welt genauso zu revolutionieren, wie es damals das iPhone gemacht hat.
Wer hätte gedacht, dass WeChat, welches 2011 vom chinesischen Tech-Giganten Tencent ins Leben gerufen wurde, so Wellen schlagen könnte? Mit mehr als einer Milliarde monatlich aktiver Nutzer (Stand 2021) ist es zu einem festen Bestandteil des Lebens in China und zu einer einflussreichen Plattform weltweit geworden – alles durch ihr Konzept, dass alles in eine App integriert ist, ohne Medienbrüche und ohne die App verlassen zu müssen.
WeChat nennt dieses Konzept „mini Programms“ und die Idee dahinter ist, dass die Nutzer praktische Features von 3rd-parties abrufen können – Fotofilter, Übersetzer, Taxi, Bezahlservices uvm. – innerhalb nur einer einzelnen App. Der Vorteil ist, dass diese Funktionen sofort verfügbar sind, kein Downloaden oder Installieren benötigt. Es klingt zwar wie eine kleine Innovation, aber es löst zwei große Probleme der App Industrie.
Geschichte von WeChat
WeChat, oder „Weixin“, wie es in China genannt wird, begann als einfache Messaging-Plattform und hat sich dann rasant entwickelt. Tencent ließ sich von der Popularität von WhatsApp und anderen Messaging-Apps inspirieren und wollte eine App entwickeln, die mehrere Kommunikationsformen bietet – Text, Sprache, Video und Gruppenchats. Im Laufe der Jahre entwickelte sich WeChat jedoch zu einer „Super-App“ mit einer Vielzahl von Funktionen, die weit über Messaging hinausgehen und inzwischen alle Funktionalitäten vereint, welche man meist erst durch die Nutzung dutzenden verschiedenen Apps hat.
Die Technik hinter WeChat
Die Genialität von WeChat liegt in seinem Design und der umfangreichen Liste der Funktionen. Die Benutzeroberfläche ist intuitiv und macht die Navigation durch die verschiedenen Abschnitte ziemlich nahtlos. Eine zentrale Funktion ist „Moments“, eine Timeline-ähnliche Oberfläche, auf der Benutzer Updates, Fotos und Artikel teilen können, ähnlich wie im Newsfeed von Facebook, jedoch kann man es eher so sehen wie ein Feed von verschiedenen Apps, die zusammenlaufen.
Die wohl wichtigste Funktion von WeChat ist „WeChat Pay“, eine digitale Geldbörse, mit der Nutzer problemlos mobile Zahlungen und Geldüberweisungen vornehmen können. Die Allgegenwärtigkeit von WeChat Pay hat bargeldlose Transaktionen in China zur Norm gemacht, vom Einkauf von Lebensmitteln bis zur Bezahlung von Stromrechnungen. Da der Nutzer nur 1x in der App sich registrieren muss und somit auch zentral die Zahlungsfunktion hinterlegt, ist es leicht für andere Apps darauf zuzugreifen. So kann man Online-Shopping machen, neue Funktionen kaufen, essen gehen oder einfach Geld an Freunde schicken ohne jedes Mal neue Kreditkarten zu hinterlegen, PayPal Anmeldung oder sonstige Dinge. Da Funktionen wie Authentisierung, Bezahlen, API Verbindungen und vieles mehr automatisch funktionieren, muss der Nutzer nur noch einen Account haben und braucht nie wieder mehrere Anmeldungen, braucht nie mehr Rechnungsadressen oder Kreditkarten zu hinterlegen.
Auch für Firmen funktioniert die WeChat-Plattform durch „Offizielle Konten“ und ermöglicht ihnen die Interaktion mit ihren Followern. Diese Funktion verwandelt WeChat im Wesentlichen in ein Marketing-Tool und schafft einen direkten Kanal zwischen Marken und Verbrauchern und ermöglicht auch einfachen Verkauf von Produkten, Services oder digitalen Offerings (die „Mini-Programme“) über die WeChat Plattform.
Für viele Firmen und Start-ups sind die „Mini-Programme“ ein ganz eigenes Ökosystem geworden, um an Kunden zu kommen und schnell zu verkaufen. Dabei handelt es sich um Unteranwendungen innerhalb von WeChat, die verschiedene Dienste wie E-Commerce, Ridehailing und Essenslieferungen anbieten und so den Bedarf an separaten Apps verringern.
Probleme von heutigen Apps verstehen
Um zu verstehen, warum WeChat so erfolgreich ist, sollten wir auch verstehen, welche Probleme Apps heutzutage haben. Alle heutigen Apps werden größer und „schwerer“. Entwickler packen immer mehr Features und Medien in die Apps, damit es schöner wird und besser für die Hardware ausgelegt ist. Das wäre theoretisch kein Problem, wenn man unlimitierten Speicherplatz am Smartphone oder unlimitiertes Datenvolumen hat. Aber da der Großteil der aktiven Smartphones meist ein älteres Semester haben (was in der Technologiewelt 2+ Jahre bedeutet) und damit auch weniger Speicher und Rechenpower, ist das für die meisten Leute international ein Problem.
Das zweite Problem kennt jedoch jeder Nutzer selbst. Apps zu registrieren, Daten einzugeben, Accounts öffnen und mit Daten füllen, kann mühsam sein. Überall werden zuerst diese gebraucht, bevor man die App effektiv nutzen kann. Das führt nicht nur zum Problem, dass diese vielen Daten unpraktisch sind zum Eintippen auf dem kleinen Screen, sondern führen auch dazu, dass man eventuell an öffentlichen Orten die Daten eingeben muss, um eine App nutzen zu können, was ein Sicherheitsrisiko sein kann.
Die „Lösung“ – Mini-Programms
Die „mini-progams“ hingegen sind nicht auffindbar im App Store. User bekommen Links via Social Media, Freunde, Gruppen, QR Codes etc. Da die Programme über die Cloud geladen werden, entfällt der Download des Programms selbst. Da die Programme auch die Dienste wie WeChat Wallet benutzen, entfällt auch die Eingabe von den persönlichen Daten sowie der Zahlungsfunktionen. In Android können diese „mini Programms“ auch auf den Homescreen gelegt werden und funktionieren wie alle anderen Apps auch, nur ohne den Aufwand von Neuanmeldung, Daten neu eingeben usw.
Nutzung in China
WeChat ist in China praktisch unverzichtbar und Teil des täglichen Lebens. Es wird nicht nur für die persönliche Kommunikation, sondern auch für die berufliche Zusammenarbeit genutzt. Viele Unternehmen nutzen WeChat-Gruppen für die interne Kommunikation, für Projekt-Updates und sogar für den Austausch von Dokumenten. Ein chinesischer User steht in der Früh mit der App auf und wird die App vermutlich bis am Abend nicht mehr schließen.
Kommerzielle Transaktionen werden durch WeChat vereinfacht, wobei E-Commerce-Unternehmen Mini-Programme und WeChat Pay nutzen, um ein nahtloses Einkaufserlebnis zu bieten. Auch öffentliche Dienstleistungen sind über WeChat zugänglich, z. B. die Buchung von Arztterminen und die Bezahlung von Bußgeldern oder auch bspw. um Bettlern Geld zu geben. Die Nutzung von WeChat Pay und Ali Pay ist inzwischen Standard und es gibt eine Vielzahl an Chinesen, die jahrelang keine einzige Münz- oder Papierwährung in der Hand hatten.
Auch weltweit hat WeChat große Fortschritte gemacht, vor allem in der chinesischen Diaspora, die es nutzt, um mit Freunden und Familie in der Heimat in Verbindung zu bleiben und damit wächst auch die Community international. Jedoch hat es doch dort noch nicht gegen bestehende Plattformen wie Facebook, Instagram, LinkedIn etc. durchsetzen können.
Was kann WeChat?
Die User können dabei eine ganze Bandbreite an Services nutzen, die alle in die App vereint werden. Von simplen Chats, die WhatsApp ersetzen, über die Interaktion mit Behörden, kombiniert mit Social Media Funktionen, die sonst Facebook, Instagram, Twitter, Foursquare, etc. bieten, bis hin zu Onlinestores und Bezahl-Apps. Die App ist ein komplettes Ökosystem, das alles einem Nutzer bietet, wofür man sonst dutzende Apps braucht. Es ist ein „one-stop“ App für alles und man muss nicht mal die App verlassen.
Ein Beispiel wie ein WeChat User den Tag verbringt
Ein typischer Tag eines WeChat Benutzers laut der WeChat Studie würde so aussehen:
Ein anderes simples Beispiel wäre so – Ein Kunde kann ein Restaurant auf WeChat empfohlen bekommen. Startet einen Gruppenchat mit seinen Kollegen, reserviert einen Tisch im Restaurant, bestellt die Getränke bevor er ankommt, damit diese schon am Tisch stehen, im Restaurant bestellt er das Essen, teilt ein Bild davon auf seiner Timeline, bezahlt per Knopfdruck, bewertet das Restaurant online und seine Kollegen überweisen ihm ihren Anteil der Rechnung.
Das alles funktioniert, ohne dass er ein einziges, die App verlassen muss.
Kritik an WeChat
Trotz, oder eventuell genau wegen seines Erfolges und seiner Beliebtheit wird WeChat häufig kritisiert. Hauptsächlich wird dabei auf über Datenschutz und die Sicherheit gesprochen. Durch die schiere Größe und auch die Daten-Hoheit von WeChat ist es möglich einen Nutzer von Morgens bis Abends komplett zu durchleuchten und eine „perfekte Persona“ zu kreieren. Inwieweit die App Zugriff auf alle Nutzerdaten hat ist unklar, und ob diese Daten mit der chinesischen Regierung geteilt werden ist auch unklar.
Zusätzlich ist die Zensurpolitik von WeChat ist ein weiteres Thema, speziell in westlichen Kreisen. Berichten zufolge bestimmte Schlüsselwörter und Themen gefiltert oder blockiert werden, was der strengen chinesischen Internetregulierungspolitik entspricht und Tencent, der Hersteller, wird anscheinend stark beobachtet von der chinesischen Regierung.
Aussichten von WeChat und Super-Apps
Genauer betrachtet ist WeChat schon fast sowas wie ein mobiles Betriebssystem. Da es immer mächtiger und umfangreicher wird, werden sich chinesische Kunden immer öfters Gedanken machen, auf welchem System WeChat am besten funktioniert. Die Frage, ob es iOS, Android oder ein anderes System sein soll, wird dann zweitrangig. Es muss nur das beste System bieten, um WeChat schnellst möglichst auszuführen und das hat langfristig einen großen Einfluss auf die Industrie. So wird auch in China die Vormacht von WeChat wahrscheinlich nicht gebrochen werden und auch Firmen wie Google und Apple haben es schwierig, denn deren Ökosystem scheint im Vergleich schlecht aufgestellt zu sein.
Genau deswegen beschäftigen sich auch die Giganten wie Facebook (WhatsApp), Google, Apple mit diesem Prinzip und wollen es in der westlichen Welt forcieren. Der Weg ist jedoch ein langer, wie es scheint, jedoch hat auch Elon Musk mit dem Kauf von Twitter und der Vision von „X“ den ersten wesentlichen Schritt gemacht.
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