Digital Supply Chain – nur etwas für Konzerne?

Auch KMUs können von der digitalisierung der Supply Chain profitieren

Ein kurzer Blick in die aktuelle Wirtschaftspresse mag zwar nicht repräsentativ sein, belegt aber dennoch die hohe Relevanz der digitalen Transformation im Supply Chain Management. Wir erklären, warum die digitale Supply Chain auch für KMUs spannend ist.

Amazon Robotics LLC ersetzt nun schon seit einigen Jahren Kommissionierer durch Roboter und Mercedes-Benz baut die „Factory 56“ mit einem Volumen von 730 Mio. Euro, in der per 400 fahrerlosen Transportsystemen, RFID und Pick-by-Light versucht wird, dem Ziel der mannlosen Materialversorgung an der Linie einen großen Schritt näher zu kommen. Dies sind nur zwei Beispiele von vielen, bei denen Konzerne in den digitalen Wandel investieren. Lassen sich solche Projekte nur bei Großunternehmen wirtschaftlich umsetzen? Oder inwieweit kann eine digitale Supply Chain auch im Mittelstand einen Mehrwert generieren?

Digitalisierung und Digitalisierungsdruck

Grundsätzlich sind die meisten Unternehmen der digitalen Transformation positiv gegenüber eingestellt. Bereits Kersten et al. kamen 2018 in einer Studie zu dem Ergebnis, dass 74,2% der befragten Akteure hohe bis sehr hohe Chancen, aber nur 35,4% hohe bis sehr hohe Risiken hierin sehen. Aus den Chancen ergibt sich aber auch ein Digitalisierungsdruck. In einer Befragung von candidus antworteten die meist mittelständischen Befragten, dass sich der Druck einer Digitalisierung in den nächsten fünf Jahren in ihrem Unternehmen verstärken wird (Zustimmung von 5,9 in einer Skala von 1 (sehr niedrig) bis 7 (sehr hoch)).

Was bedeutet Digital Supply Chain?

Unbestritten ist, dass es ohne eine digitale Supply Chain („SCM 4.0“) keine Industrie 4.0 geben kann. Bei SCM 4.0 geht es um die Vernetzung digitaler Technologien entlang der Wertschöpfungskette (im Idealfall vom Rohstofflieferanten bis zum Endkunden) mit den Zielen der Echtzeitfähigkeit und Selbststeuerung, um Kundenorientierung, Effektivität und Effizienz zu steigern. Grundvoraussetzung ist die Zurverfügungstellung hochqualitativer Daten in Echtzeit, denn nur so kann agiles Handeln in enger Abstimmung mit Kunden- und Zuliefernetzwerken gelingen.

Somit geht die digitale Supply Chain über traditionelle Systeme mit materialwirtschaftlichen Funktionen hinaus und ist stattdessen meist Internet-basiert. Eine mögliche Einteilung von SCM 4.0 kann sich am klassischen SCM-Modell mit „SC Design“, „SC Planning“ und „SC Execution“ orientieren.

Funktioniert das auch im Mittelstand?

Zunächst ist festzuhalten, dass zwar in diversen Studien zwischen Großunternehmen und KMU unterschieden wird, in der Realität die Supply Chains oft zusammenhängen, indem etwa Konzerne auf mittelständische Lieferanten zugreifen. Blickt man etwa auf die automobile Supply Chain, so fällt auf, dass den Automobilherstellern (OEMs) häufig große Lieferanten gegenüberstehen (Tier Ones), die nachgelagerten Vorlieferanten (Tier Twos) indes oft mittelständisch geprägt sind. So formulierte Bosch bereits 2019, dass man im Zuge der Digitalisierung seiner Lieferkette ein großes Potenzial bei kleinen und mittleren Lieferanten sieht.

Die Bedeutung von SCM 4.0 gilt auch für KMU als unstrittig: In einer 2019er Studie der Universität Würzburg kam Bogaschwesky zu dem Resultat, dass knapp 80% den elektronischen Datenaustausch entlang der Supply Chain als relevant ansehen. Wunsch und Wirklichkeit liegen aber anscheinend auseinander: 43% der KMU setzen keine elektronisch unterstützten Prozesse bei der Bedarfsvorschau ein. In dieses Bild passt auch ein weiteres Ergebnis der candidus-Studie, deren Befragte sich im Durchschnitt maximal in die Reifegrad-Kategorien „Basic“ einordneten. Überraschend dabei ist jedoch folgende Erkenntnis der Berater: „Vom Umsatz eines Unternehmens kann man nicht auf den Reifegrad der Supply Chain schließen.“

Welche Besonderheiten gilt es zu beachten?

Warum das Thema SCM 4.0 eine generell geringere Relevanz bei KMU hat, wird meist mit den Spezifika des Mittelstands beantwortet:

  1. Fehlende Marktmacht gegenüber Lieferanten und Kunden, um eigene Standards zu etablieren,
  2. begrenzte interne Ressourcen sowie
  3. ein Mangel an technischen Voraussetzungen

Das dritte Argument verwundert, da es sich meist um internetbasierte Lösungen handelt, die keine high-end Solutions darstellen. Hier liegt die Herausforderung eher bei Datensicherheit und generellen Vorbehalten statt fehlender Finanzierungsbereitschaft. So hat die bereits zitierte Studie von candidus ergeben, dass „hohe Investitionen mit schwer quantifizierbarem Nutzen“ erst als fünftgrößte Barriere gesehen wird.

Praxisbeispiele

SCM 4.0 im Mittelstand sollte sich durch Praktikabilität und schnelle Umsetzung von Piloten und späteren Anwendungen auszeichnen. Durch solche use cases wird einerseits die eigene Organisation nicht überfordert, andererseits bauen schnelle Erfolge Vorbehalte auf Mitarbeiterseite ab. Drei kurze Beispiele aus dem Bereich Supply Chain Execution, die naturgemäß keinen Anspruch auf Repräsentativität haben, sollen dies verdeutlichen:

1. Control Tower

Ein mittelständisches Unternehmen der Logistikdienstleistung bietet seinen Kunden aus Industrie und Handel ein Tool an, mit dessen Hilfe die Supply Chain Visibility aller eingehenden Lieferungen unabhängig vom Verkehrsträger gewährleistet wird und welche somit der Transportoptimierung dient.

2. Aufbereitete Rechnungen von KEP-Dienstleister

Viele mittelständische Unternehmen führen heute noch Transportrechnungen manuell zusammen und überprüfen diese monatlich, obwohl gerade die großen Kurier-, Express- und Paketdienstleister solche Rechnungen heute schon in digitaler Form zur weiteren Auswertung ihren Auftraggebern bereitstellen.

3. Aufbau eigener Onlineshops

Auch im klassischen B2B-Sektor bieten sich Webshops an, die Forecasting-, Bestell-, Bezahl- und Reklamationsabwicklungsfunktionen wahrnehmen und somit den manuellen Aufwand im Customer Service reduzieren. Die Herausforderung liegt weniger bei den IT-Schnittstellen, sondern eher darin, Kunden und Mitarbeitern einen Anreiz zur Nutzung zu schaffen.

Erfolgsfaktoren

Neben den klassischen Erfolgsfaktoren von Projekt- und Change Management wie der Offenheit gegenüber Veränderungen, dem Commitment auf Ebene der Unternehmensführung und qualifizierten Mitarbeitern gibt es auch spezifische Aspekte bei der Entwicklung und Umsetzung einer digitalen Supply Chain: Unabhängig von der Vielfalt möglicher Projekte ist die Klammer das Vorhandensein von Daten sowie standardisierter und dokumentierter Prozesse. Ansonsten besteht die Gefahr, dass man lediglich die ineffizienten Abläufe digitalisiert.

Getreu dem Prinzip „Nichts ist überzeugender als der Erfolg“ sollten SCM 4.0-Initiativen über kleinere, aber schnell zu realisierende Use Cases implementiert werden, die den betroffenen Mitarbeitern das tägliche Doing vereinfachen. Dies überzeugt im Mittelstand vermutlich mehr als eine große angelegte Digitalisierungsinitiative als Teil einer Unternehmensstrategie (die nun auch nur selten bei KMU explizit so ausformuliert ist).

Autor:  Prof. Dr. Dirk Hartel (XING | LINKEDIN) | Hartel Consulting

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