Rhetorik in der Moderne – Gemeines 1×1 von Schopenhauer

Arthur Schopenhauers Weisheiten auf modernes Berufsleben umgemünzt und erläutert

Menschen lassen sich leicht von anderen beeindrucken, deren Rhetorik den eigenen Möglichkeiten überlegen ist. Dabei ist die Kunst einer starken Rhetorik meist nichts anderes, als das Ergebnis von viel Übung. Rhetorische Überlegenheit erfordert keinen Doktortitel – sie braucht vor allem Selbstsicherheit. Und den Willen zum Sieg.

In meinen Artikeln hier auf MoreThanDigital.info, geht es vielfach um das Thema Verkauf: Etwas zu verkaufen, jemanden zu verkaufen, sich selbst zu verkaufen. Damit haben tatsächlich eine ganze Menge Leute ihre Schwierigkeiten, denn nicht jeder fühlt sich zum Vertriebler geboren. Doch am Ende entscheidet in einer Diskussion nicht allein das (natürliche?) Verkaufstalent – sondern Selbstsicherheit und vor allem Rhetorik in Kombination mit guter Argumentation, geben den Ausschlag. Es gibt ein wunderschönes Büchlein des Autors Arthur Schopenhauer, „Die Kunst, Recht zu behalten“ , dessen Inhalt und seine Transferierbarkeit in unser neues, modernes, z.T. agiles Arbeitsumfeld, wir uns nun anschauen wollen.

Stellen wir uns zuerst einmal folgende Situation vor: Sie sitzen in einem Meeting (mittlerer Größe, nicht mehr als 12 Personen) und sind gezwungen, sich die endlosen Ausführungen ihres Kollegen anzuhören, der dazu noch vollkommenen Bullsh*t redet. Neben Ihnen sitzen Ihre Kolleginnen und Kollegen, die auch allesamt wissen, dass hier gerade nur Nonsense verbalisiert wird – doch niemand traut sich, dem rangmäßig nicht über dem Rest der Gruppe stehenden Kollegen Einhalt zu gebieten: Denn er ist ein typischer Verkäufer vom Schema Autohändler – große Gesten, schnelle Sprechsalven, immer eine tolle Retourkutsche auf den Lippen. Wie soll man mit so jemandem nur fertig werden? Dafür im folgenden erprobte Beispiele aus zwei Kategorien.

Rhetorik und ihre Kunstgriffe erlernen

Was wir im Vorfeld einmal festhalten wollen – es geht bei der Lösung für unser obiges Beispiel nicht darum, den Kollegen Autohändler zu verletzen oder ihn lächerlich zu machen. Auch das sind zwar mögliche Herangehensweisen aus dem Repertoire von Arthur Schopenhauers Buch [siehe weiter unten], aber wir leben im Jahr 2019 und heben uns solche Gemeinheiten lieber für Situationen auf, in denen sie vielleicht einmal gerechtfertigt sind. Schopenhauers s.g. eristische Dialektik beinhaltet dabei in mehreren „Kunstgriffen“ die Möglichkeit zu per fas et nefas [mit Recht wie mit Unrecht] Recht zu behalten. Da wir jedoch selbstreflektiert genug sind, Unrecht und Recht zu unterscheiden, wollen wir uns zuerst einmal auf die positiven Aspekte konzentrieren, auch wenn ich es mir natürlich nicht nehmen lasse, ebenso die Gemeinheiten zu präsentieren.

Fangen wir mit den besten der netten Kunstgriffe Schopenhauers an

  1. Rhetorik-Beispiel: Die Erweiterung
    Das Gegenüber macht eine allgemein Aussage wie „Erdbeereis schmeckt doof“, woraufhin wir erwidern, dass manchen Leuten Erdbeereis sehr gut schmeckt. Daraufhin ist der andere gezwungen, seine Aussage einzuschränken, etwa auf, „Ich mag es jedenfalls nicht“, oder „Zumindest in meiner Familie mögen allen kein Erdbeereis.“ Je allgemeiner eine Behauptung, desto mehr Angriffsfläche bietet sie.
  2. Rhetorik-Beispiel: Der Begriffstausch
    Wir disputieren mit einem Gegenüber und wollen einen Standpunkt klarmachen, von dem wir wissen, dass der andere diesen sofort angreifen wird, wenn wir direkt vorgehen. Hier können wir einen anderen Begriff verwenden, für den sich unsere Behauptung ebenso postulieren lässt – und wir im Umkehrschluss dann sagen können, „Und genau so, wie eben bewiesen, verhält es sich auch mit dem  XYZ!“
  3. Rhetorik-Beispiel:  Ausholende Fragen
    Schon Sokrates wusste, dass wir eine Menge in Erfahrung bringen können, wenn wir dem Gegenüber offene Fragen stellen. Diese s.g. erotematische oder sokratische Methode erlaubt es uns, unsere eigentliche Absicht zu verbergen, während wir das Gegenüber durch den anhaltenden Redefluss eine Menge Gedanken und Standpunkte preisgeben lassen.
  4. Rhetorik-Beispiel: Durch Formulierungen Ansichten erkennen
    Diese Methode funktioniert vielfach sogar instinktiv: Je nachdem, wie ein Gegenüber eine Sache, eine Person oder einen Zustand nennt, so ist der eigene Stand demgegenüber. Wer von der „Heiligen Mutter Kirche“ spricht, wird im Zweifelsfall gläubiger Katholik sein, während jemand, der einen Geistlichen als „Kuttenträger“ tituliert, eher keiner kirchlichen Organisation nahe steht. Hier lassen sich unzählige weitere Beispiele finden – Formulierungen verraten uns enorm viel über einen Menschen
  5. Rhetorik-Beispiel: Die unverschämte Herleitung
    Dieses Beispiel liegt genau auf der Grenze zwischen „nett“ und „gemein“, aber da es unterhaltsam ist, sortieren wir es in die obere Liste: Wenn unser Gegenüber eine Reihe unserer Fragen positiv beantwortet hat, diese aber noch nicht den Schluss zugelassen haben, den wir beabsichtigten, dann können wir dreist behaupten, „Und genau deshalb ist es so, dass …!“ Auch wenn sich dies aus dem Gesagten gar nicht ergibt.
  6. Rhetorik-Beispiel: Der innere Widerspruch (I)
    Je länger eine Diskussion andauert, desto mehr wird zwangsläufig gesagt. Hier zahlt sich enorm aus, wenn man aktiv zuhören kann: Hat das Gegenüber nicht vorhin etwas behauptet, dem er nun (zumindest zum Teil) widerspricht? Hiermit können wir nun seine eigenen Aussagen gegen ihn einsetzen. Man braucht hier derweil nicht diskreditierend zu werden! Es reicht vollkommen aus, die Glaubwürdigkeit oder die stringente Argumentation zu zersetzen.
  7. Rhetorik-Beispiel: Die feine Unterscheidung
    Kommen wir durch eine geschickte Argumentation des Gegenübers in Bedrängnis, so können wir uns oft damit retten, dass wir (zumindest bei einer Sache, die mehrfacher Interpretation zugänglich ist) etwas klarstellen, anders gemeint zu haben. „Ich meinte nicht deinen Fußballverein – natürlich nur den anderen aus deinem Ort, dein Verein hat doch Kampfgeist!“
  8. Rhetorik-Beispiel: Das Abfälschen
    Fordert uns das Gegenüber auf, zu einer bestimmten Position Stellung zu nehmen, zu der uns nichts Passendes einfällt, dann beziehen wir die Frage auf einen allgemeineren Kontext: Gilt es zu beantworten, ob eine Vorgehensweise als richtig anzusehen ist, so beziehen wir uns etwa auf die Unvorhersehbarkeit der Marktwirtschaft und referieren über eben jene.
  9. Rhetorik-Beispiel: Die Forderung klären
    Versucht das Gegenüber, uns eine Erweiterung (siehe Beispiel 1) unserer eigenen Aussage unterzuschieben, so geben wir als Replik, dass wir „so viel gesagt haben und nicht mehr“.
  10. Rhetorik-Beispiel: Das fremde Argument verwenden
    Das Gegenüber sagt zum Beispiel, „Wir sollten uns nicht auf Externe verlassen, die gehören nicht zum inneren Kreis.“ Daraufhin entgegen wird: „Gerade weil sie nicht zum inneren Kreis gehören, sollten wir uns auf sie verlassen! Ihnen haften keine alten Seilschaft an.“
  11. Rhetorik-Beispiel: Das gemeinsame Interesse
    Egal, wie gut die Argumente des Gegenübers sind: Finden wir in unserer eigenen Argumentation eine Möglichkeit, dem Publikum zu verstehen zu geben, dass die Argumente des Gegenübers sich gegen ihrer aller Interessen richten, dann geht es folglich nicht mehr um gute oder schlechte Argumente – denn der eigene Wille, die Stimmung, siegt fast immer über Vernunft und Logik.
    Dies ist ein guter Abschluss für die „netten“ Rhetorik-Beispiele, da er doch ein wenig auf der Kippe steht und daher die Überleitung einfach macht.

 

Antike Diskussionen und Rethorik in der ModerneKommen wir jetzt zur gemeineren Rhetorik des lieben Schopenhauer

Dabei sei von mir eindeutig klargestellt, dass diese Kunstgriffe nicht Gentleman- oder Lady-like sind und es weder im Business, wo professionelles Auftreten gefragt ist, noch in einer Familie, wo Liebe und Güte herrschen sollten, angebracht ist, so zu verfahren. Doch wie wir alle aus eigener Erfahrung wissen – es gibt manchmal Situationen, da geht es eben nicht anders.

  1. Böses Rhetorik-Beispiel: Zum Zorn reizen
    Wer zornig ist, macht Fehler, das ist allgemein bekannt. Denn durch die Ausschüttung entsprechender Hormone, wird das logische Denken negativ beeinflusst. Wie man das Gegenüber reizt, ist individuell verschieden. Unverhohlene Geringschätzung der anderen Position, (sehr unfair: des Gegenübers an sich), allgemeine Unverschämtheit oder auch dauernde Unterbrechungen funktionieren hier gut.
  2. Böses Rhetorik-Beispiel: Der innere Widerspruch (II)
    Reicht es uns bei einem inneren Widerspruch innerhalb den Aussagen unseres Gegenübers nicht aus, seine Glaubwürdigkeit zu untergraben oder die stringente Argumentation zu zersetzen, dann können wir hier unfaire Geschütze auffahren: Wie fähig kann ein Mensch schon sein, der sich sogar selbst widerspricht? Wie gut dessen Standpunkt?
  3. Böses Rhetorik-Beispiel: Falsche Konsequenzen ziehen
    Hat das Gegenüber Aussagen getätigt, aus denen wir etwas herleiten können, das absurd oder gefährlich ist, dann tun wird dies – wir überspitzen die Aussagen und folgern daraus hanebüchene Dinge, die keinesfalls richtig zu sein brauchen, aber als Konsequenz aus den Aussagen des Gegenübers korrekt hergeleitet sind. Das führt ihn in Schwierigkeiten.
  4. Böses Rhetorik-Beispiel: Unvermittelte Wut nutzen
    Wird das Gegenüber an einer unerwarteten Stelle plötzlich wütend, so können wir dies nutzen und weiter mit dem Punkt arbeiten. Denn wer wütend ist, reagiert affektiv und verliert einen Teil seiner logischen Fähigkeiten, durch die Kampf- oder Flucht-Reaktion seines vegetativen Nervensystems.
  5. Böses Rhetorik-Beispiel: Unwissenheit des Publikums
    Das Publikum eines Disputs ist immer gern zum Lachen bereit. Haben wir es mit einer Diskussion unter Fachleuten zu tun, so können wir das Gegenüber in eine ungünstige Situation bringen, wenn wir etwas sagen, das seine Position für den Laien unlogisch macht und lustig ist, für uns selbst aber vollkommener Blödsinn und für das Gegenüber auch. Da aber selten die Zeit bleibt, dieses Wissensdefizit zu beheben, muss sich das Gegenüber der Schmach hingeben.
  6. Böses Rhetorik-Beispiel: Das Thema wechseln
    Merken wir, dass wir im Begriff sind zu verlieren, wechseln wir einfach das Thema. Je geschickter wir dies tun, etwa, indem wir den Wechsel auf einem Argument des Gegenübers aufbauen, desto eher kommen wir damit durch.
  7. Böses Rhetorik-Beispiel: Unverständnis vortäuschen
    Wollen wir uns auf Kosten des Gegenübers amüsieren, oder haben wir gerade keine passende Antwort parat, erklären wir (besonders gut wirksam bei einer möglichst einfachen Argumentation), sehr bescheiden-ironisch, dass wir dies nicht nachvollziehen können, weil es uns an der notwendigen Kompetenz mangelt. Hier kann das Publikum die Finte leicht durchschauen und wird unsere Spitze mit Lachen und Beifall unterstützen.
  8. Böses Rhetorik-Beispiel: Theorie und Praxis
    Der zum richtigen Zeitpunkt platzierte Ausspruch, „In der Theorie mag das richtig sein – in der Praxis ist es falsch“, kann wahre Wunder wirken. Denn er pflanzt sofort den Keim des Zweifels bei den Zuhörern: Denn wenn etwas in der Praxis falsch ist, dann doch nur deshalb, weil die Theorie fehlerhaft ist. Also ist diese offensichtlich ebenfalls falsch.
  9. Böses Rhetorik-Beispiel: Der Wortschwall
    Wir haben auch die Möglichkeit, das Gegenüber einfach mit einem Schwall von ggf. total sinnlosen Tiraden aus dem Konzept zu bringen, während wir selbst nach unserem nächsten Schachzug sinnen. Der Wortschwall hat den angenehmen Effekt beim Gegenüber, dass sein Gehirn annimmt, dass Worte doch auch einen Sinn haben müssten und einen Teil seiner Kapazität hierfür verbraucht. Gut für uns, nicht wahr?

Mit all diesen Tipps haben wir nun ein ganzes Arsenal zur Verfügung, um uns in einer Diskussion wacker zu schlagen. Doch es gibt abseits von Schopenhauer natürlich noch eine ganze Reihe von anderen Tipps und Tricks, wie man sich in einer Situation gut schlägt, bzw. verkauft. Im Endeffekt hilft es immer, wenn wir in uns selbst eine Balance zu erhalten schaffen, zwischen dem Wunsch zum Sieg bei der Debatte und andererseits dem Vorsatz, dies nicht auf Gedeih und Verderb durchzubringen (anders, als Schopenhauer es vor über 100 Jahren gesehen hätte). Verhältnismäßigkeit und Menschlichkeit sollten wir immer den Vorrang geben. Denn wie heißt es so schön: Man sieht sich immer zwei Mal im Leben!

Die Vorteile von Digitalisierung und digitaler Transformation in Vertrieb und Marketing der Assekuranz nutzbar zu machen - das ist die Passion von Sebastian Heithoff (*1986). Der selbstständige Unternehmensberater stieg 2007 in die Versicherungsbranche ein und ist seit 2012 digital unterwegs. Mit Heithoff Consulting setzt er auf die Kernbereiche Digital Enablement und Digitale Positionierung.

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