Meet Wirtschaftsfrauen Schweiz – Im Interview mit Judith Niederberger

Wie steht es um die Frauen in der Wirtschaft und was macht die Wirtschaftsfrauen Schweiz aus?

Wir stellen unser Mitglied, die Wirtschaftsfrauen-Schweiz, kurz vor. Im Interview bekommen wir Antworten zu den Frauen in der Wirtschaft, den Herausforderungen sowie auch den grossen Holpersteinen.

Judith Niederberger - Wirtschaftsfrauen Schweiz Unser #bethechange Mitglied, Wirtschaftsfrauen Schweiz im Interview.

Judith Niederberger ist Geschäftsführerin der Wirtschaftsfrauen Schweiz, Zürich, Geschäftsführerin der Schweizerischen Public Affairs Gesellschaft, Bern, Gründerin und Inhaberin der Kommunikationsagentur Lakritza GmbH. Sie verfügt über einen Abschluss Master of Arts der Universität Zürich.


Die Gleichstellung der Geschlechter ist seit 1996 im schweizerischen Bundesgesetz verankert. Braucht es da einen Verband Wirtschaftsfrauen Schweiz?

Die Etablierung dieses Gesetzes war ein wegweisender Akt. Es schreibt vor, dass aufgrund des Geschlechts keinerlei Diskriminierung stattfinden darf. Bezogen auf den Arbeitsmarkt führte das insbesondere zu einer Verbesserung der Lohngleichheit, es schützt die Frau vor einer Kündigung während der Schwangerschaft, es brachte verbesserten Schutz und Anlaufstellen im Falle einer sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz und anderes mehr. Das Gesetz gibt uns die offizielle Berechtigung, auf Missstände hinzuweisen. Die Gleichstellung der Geschlechter ist damit aber längst noch nicht erreicht. Es geht zudem auch um Chancengleichheit bei der Personalgewinnung und -entwicklung, sprich: um eine Gender Balance in allen wirtschaftlichen Bereichen und auf allen Ebenen, inkl. Top Management und Verwaltungsräte. Solche Veränderungsprozesse dauern leider sehr lange, wie die Realität zeigt. Hier setzen wir von den Wirtschaftsfrauen Schweiz mit unserem Engagement an. Da passt bei uns auch der Slogan «Be the Change» perfekt: Wir sind uns im klaren darüber, dass wir Frauen aktiv sein müssen, um eine Veränderung herbeizuführen.

In welcher Form ist der Verband Wirtschaftsfrauen Schweiz aktiv? Betreiben Sie Politik?

Wir müssen das Thema in seiner ganzen Vielfalt angehen und daher breitgefächert aktiv sein. Die Politik gehört mit dazu. Natürlich sind wir ein politisch neutraler Verband. Doch als Interessenvertretung der Themen «Wirtschaft», «Frauen» und «Schweiz» nehmen wir fallweise Stellung zu aktuellen Debatten und geben Parolen zu Abstimmungen heraus. Situativ sind wir auch selbst als Initiantinnen aktiv. So geschehen z.B. bei der Vaterschaftsurlaubs-Initiative, die wir zusammen mit Travail.Suisse lanciert haben und die im September 2020 vom Volk angenommen worden ist.

Wie sieht Ihr Engagement auf wirtschaftlicher Ebene aus?

Hier sehen wir eines unserer hauptsächlichen Aktivitätsfelder. Wir spannen dazu mit Firmen direkt zusammen, die sich bezüglich Gender Balance optimieren wollen. Je nach Firma und Gegebenheit richten wir unser Engagement individuell aus. Grundsätzlich läuft es aber so ab, dass wir in ersten Gesprächen analysieren, wo die Firma in Sachen Gleichstellung steht und wo am dringendsten und effizientesten eine spürbare Verbesserung erzielt werden soll und kann. Wir schlagen Massnahmen vor oder eruieren sie gemeinsam mit der zuständigen Person für Diversity oder einem entsprechenden Projektteam und begleiten die anschliessende Implementierung. Je nach Bedarf können wir solche begleitenden Coachings und Empowerments manchmal aus unseren eigenen Reihen heraus erbringen – aus dem Vorstand heraus oder wir finden die ideale Person unter unseren Einzelmitgliedern. Bei spezifischen Bedürfnissen und wenn wir die Fachkompetenz nicht im Verband vertreten haben, helfen wir bei der Suche nach dem idealen Anbieter einer Dienstleistung, einer Weiterbildung oder in gewissen Fällen auch bei der Rekrutierung.

Wo besteht bei den Firmen denn bezüglich Gender Balance am meisten Handlungsbedarf?

Viele Firmen, insbesondere die grossen Corporates, haben heute eine Diversity Abteilung oder eine für das Thema Gleichstellung zuständige Person und haben entsprechende Leitbilder oder Grundsätze formuliert. Leider ist mit dieser Absichtserklärung allein noch nichts erreicht. Manchmal sieht es gar danach aus, als ob eine lästige Pflicht nach unten delegiert worden ist in der Meinung, man hätte damit seine Schuldigkeit getan. Das Thema Gleichstellung muss in einem Unternehmen auf oberster Ebene angesiedelt sein. Das Top Management und weitere wichtige Entscheidungsträger – also höher gestellte Personen im HR sowie in einflussreichen Projekten – müssen sensibilisiert werden. Im Idealfall sollte Frauenempowerment konkret in den Jahreszielen gefordert werden und bonusrelevant sein. Es muss einerseits ein Druck erzeugt werden, der hilft, alte Denkmuster aufzubrechen. Und andererseits sollte ein New-Work-Klima gefördert werden, das zu neuen Ansätzen inspiriert und auch unkonventionelle Lösungen zulässt.

Immer wieder hört man von Managern die Aussage, dass sie gerne einen höheren Anteil an Frauen in verantwortungsvollen Funktionen hätten. Doch bei Ausschreibungen würden sich entweder keine oder zu wenig gut qualifizierte Frauen melden. Oder Frauen würden sich die Herausforderung letztendlich nicht zutrauen. Was halten Sie von solchen Aussagen?

Da ist zweifellos etwas dran. Es geht hier um eine tief verwurzelte Problematik. Nehmen wir zuerst den Aspekt der «zu wenig gut qualifizierten Frauen». Frauenempowerment muss ganz zu Beginn der Ausbildungskette einsetzen, in der Grundschule, und sich insbesondere über alle Bereiche hin erstrecken. Viele spätere Top Management Positionen setzen einen Werdegang voraus, der traditionellerweise mehr von Männern als von Frauen absolviert wird, mit Ausbildungen im MINT-Bereich oder in den Bereichen Finanz und Wirtschaft. Mädchen sollten früh schon speziell auch für diese Ausbildungsgänge begeistert und motiviert werden.

Das andere ist die Art und Weise, wie sich Frauen resp. Männer auf dem Arbeitsmarkt präsentieren und ihre bisherigen Leistungen und Kompetenzen anpreisen. Tendenziell geben sich Frauen zurückhaltender als Männer, misstrauen ihren Fähigkeiten eher und gehen weniger schnell Risiken ein. Hier sehe ich zwei relevante Ansätze: Einerseits müssen wir die Frauen individuell in ihrem Auftritt unterstützen. Frauen müssen lernen, in welchen Momenten es wichtig ist, ihre Kompetenzen überzeugend und mit Nachdruck zu vertreten. Es geht nicht darum, dass sie das Powerplay der Männer kopieren. Aber in gewissen Situationen ist einfach nicht genug Zeit vorhanden, um vielfältige Schattierungen der Befindlichkeit zu äussern. Wenn’s drauf ankommt, muss man in kurzer Zeit den starken Pitch präsentieren. Auf der anderen Seite müssen Entscheidungsträgerinnen und -träger darauf sensibilisiert werden, dass Frauen tendenziell weniger dominant auftreten. Entsprechend sollten sie lernen, den «Code der Frauen» und den «Code der Männer» zu entschlüsseln, zu neutralisieren und so gleichberechtigtere Entscheide zu fällen.

Leisten Sie hierzu seitens Verband Wirtschaftsfrauen einen Beitrag?

Auf jeden Fall. Neben der politischen und der wirtschaftlichen Ebene ist hier die dritte Ebene, auf der wir aktiv sind. Wir bieten unseren Mitgliedfrauen regelmässig Trainings an, um sie im Bereich Auftritt und Präsentation, Verhandlungsführung, Krisenmanagement oder auch Leadership generell zu stärken. Zudem wir weisen unsere Mitglieder mit konkreten Events gerne auch auf Themen und Aktionsfelder hin, die von Frauen noch zu wenig beackert werden.

Welches konkrete Beispiel können Sie uns hierzu geben? Wo sind Frauen zu wenig gut vertreten?

Die aktuelle Pandemie hat den Themenkomplex «Landesverteidigung und Bevölkerungsschutz» in den Vordergrund gerückt. Die Armee wurde aktiv aufgeboten und an diversen Orten eingesetzt. Hier zeigt sich der Frauenanteil besonders krass: in der Armee liegt er bei 0.8%. Die Landesvereidigung und der Bevölkerungsschutz sind höchst relevante Aspekte – und die Frauen sind sozusagen nicht vertreten! Das Gleichstellungsgesetz hat hier ganz offensichtlich nicht gegriffen. Das muss sich ändern, so rasch als möglich. Frauen müssen sich einbringen, wenn es darum geht, die Strategie für die Zukunft zu bestimmen und auszugestalten, welchen Gefahren unser Land mit welchen Massnahmen begegnen will. Und als Vertreterin eines Wirtschaftsverbands weise ich nicht zuletzt darauf hin, dass es in diesem Umfeld spannende, verantwortungsvolle und lukrative Jobs gibt, die sich die Frauen nicht entgehen lassen sollten. Jobs auch, die ein ideales Karrieresprungbrett für eine Aufgabe in einem Top Management sein können.

Für wen empfehlen Sie eine Mitgliedschaft im Verband Wirtschaftsfrauen Schweiz?

Wir rufen sowohl Frauen wie Männer auf, bei uns dabei zu sein! Zuerst aber zu den Frauen: Jede Frau, die aktiv im Berufsleben engagiert ist oder es war oder demnächst sein wird, findet in unserem Verbund durchs Jahr hindurch bereichernde Inputs und Anregungen. Sie profitiert von Vergünstigungen und teils kostenlosen Anlässen unseres Verbands und kommt in den Genuss attraktiver Angebote unserer Partnerverbände und -firmen. Eine Mitgliedschaft macht aber auch dann Sinn, wenn eine Frau nicht unbedingt auf eigene, direkte Förderung, Vernetzung oder Benefit durch Vergünstigung aus ist. Eine Mitgliedschaft per se ist ein solidarisches Bekenntnis für die Anliegen der Frauen in der Schweizer Wirtschafts- und Arbeitswelt. Es ermöglicht uns, auf all unseren Ebenen zugunsten idealer Rahmenbedingungen für eine bessere Gender Balance tätig zu sein.

Ein solches Bekenntnis können durchaus auch Männer abgeben. Wir sind seitens Wirtschaftsfrauen Schweiz der festen Überzeugung, dass wir eine wirkliche Gleichstellung der Geschlechter nur im Austausch und in Kooperation mit den Männern erreichen können. Daher werden wir an der kommenden Mitgliederversammlung eine entsprechende Anpassung der Statuten vorschlagen, so dass auch Männer solidarisch Mitglieder bei uns werden und sich jederzeit auf einen konstruktiven Diskurs mit uns einlassen können – zugunsten einer gleichberechtigten Wirtschafts- und Arbeitswelt zum Wohle aller.

 

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