E-Procurement – Kein Erfolg ohne user-zentrierte Implementierung

E-Procurement Tools so einführen, dass sie auch akzeptiert werden und das Projekt ein Erfolg wird

Ohne eine konsequente Ausrichtung an den Anforderungen aller Stakeholder kann eine Implementierung von E-Procurement Tools nicht erfolgreich sein. Dieser Erfahrungsbericht beschreibt die Dinge die vor, während und nach einer Implementierung nötig sind, um die Unterstützung der User zu gewinnen und langfristig zu sichern.

Im Rahmen von Digitalisierungsprojekten geht es in den meisten Fällen um die Einführung von neuen Software-Tools, in diesem Fall auch E-Procurement Tools. Auch in meinem Fachbereich, dem Einkauf, wird zunehmend digitalisiert – was in höchstem Masse notwendig ist. In einem meiner früheren Artikel habe ich darauf hingewiesen, dass anstatt hochtrabender Trendthemen wie „AI im Einkauf“ und „Einkauf 4.0“ ein grösserer Fokus auf die Einführung der Basis-Technologien gelegt werden sollte. Mir wurde damals vereinzelt Innovationsfeindlichkeit vorgeworfen, was nicht korrekt ist.

Ich berichte in meinen Artikeln von den Dingen, denen ich im Rahmen meiner Beratertätigkeit begegne. Leider sehe ich noch immer viel zu oft Unternehmen mit komplett fehlenden Tools oder mit nachlässig implementierten Werkzeugen im Einkauf. Dies führt dann meist leider zu einer generellen Abwehrhaltung, wenn weitere Digitalisierungsschritte vorgeschlagen werden.

Einer meiner aktuellen Kunden hat eines der führenden e-Procurement-Systeme am Markt eingeführt. Am ersten Tag meiner Tätigkeit für diesen Kunden wurde mir gleich von mehreren Seiten erklärt, dass dieses System nicht funktioniere und alle internen Stakeholder über alle Massen enttäuscht davon seien. Verbrannte Erde. Doch das System kann nichts dafür. Es ist erwiesenermassen einer der Marktführer und global erfolgreich im Einsatz.

Woran liegt also die missglückte Einführung?

Softwarehersteller haben bereits seit Jahren den Begriff „user-centric“ für sich entdeckt. Software wurde mehr oder weniger konsequent so umgebaut, dass der User und seine Anliegen in den Mittelpunkt gestellt werden und Funktionen dort gefunden werden, wo der User sie intuitiv erwarten würde. Es wurden Methoden implementiert, mit denen der Benutzer die Oberfläche adaptieren oder zumindest schnelle Zugriffe auf oft benötigte Funktionen festlegen kann – oder die Applikation macht dies automatisch, indem sie das Nutzerverhalten analysiert.

Implementierungsprozesse fehlen

Das Problem liegt in der irrigen Annahme, dass die Beschaffung eines user-zentrierten Werkzeugs ausreicht, um die Anwender zufrieden zu stellen. Ohne einen ebenso user-zentrierten Implementierungsprozess hilft das beste Tool nichts.

Der Einkauf ist in vielen Unternehmen ab einer gewissen Grösse einer der wichtigsten, aber auch unterbewertetsten Unternehmensbereiche. Egal, in welcher Branche das Unternehmen arbeitet, über den Einkauf werden produkt- und produktionsrelevante Waren und Dienstleistungen ebenso beschafft wie alle Materialien für die Versorgung der Mitarbeitenden. Damit hat der Einkauf nicht nur direkten Einfluss auf betriebswirtschaftliche Kennzahlen, sondern auch auf die Produktqualität, die Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit.

Wenn das eingeführte Werkzeug, beispielsweise ein e-Procurement Tool, die internen Stakeholder nicht so unterstützt, dass sie ihre Arbeit besser, schneller und effizienter erledigen können, wird es scheitern. Das betrifft alle Stakeholder vom Einkauf selbst, über beschaffende Fachbereiche bis hin zur Finanz- und Rechtsabteilung.

Deshalb muss auch der Auswahl- und Implementierungsprozess user-zentriert erfolgen. Eine e-Procurement-Einführung startet nicht mit der Auswahl und Beschaffung der Software. Wir beginnen mit der Analyse der Prozesse im Einkauf und den angeschlossenen Bereichen. Wo nötig, ist dies der optimale Zeitpunkt für eine Optimierung der Prozesse. Wir erfragen und bewerten die Anforderungen aller Stakeholder im Unternehmen. Das ist eine nicht zu unterschätzende Aufgabe, da die Stakeholder von Einkaufsthemen erfahrungsgemäss im kompletten Unternehmen verteilt und die Anforderungen vielfältig sind. Dies ist die Grundlage für die Auswahl des Tools.

Die Frage nach dem besten e-Procurement Tool

Viele Kunden fragen mich, welches die besten e-Procurement Tools am Markt sind. Ich kann darauf nicht qualifiziert antworten, wenn ich die beschriebene Analyse nicht durchgeführt habe. Das Tool muss sich an der Natur und den Anforderungen des Unternehmens ausrichten und kann nicht aufgrund einzelner Features oder eines Gartner-Reports ausgewählt werden.

Implementierung der e-Procurement Tools als kritische Phase

Nach der Beschaffung des Tools folgt die Implementierung und auch hier müssen die Anforderungen aller Stakeholder ermittelt und berücksichtigt werden. Es geht dabei um so scheinbar simple Dinge wie Sortier- und Suchfunktionen, automatische Ergänzungen oder Vorschläge, Textvorlagen, Berechtigungskonzepte, Workflows, Benachrichtigungen, Mengenbearbeitung. Bei einem meiner Kunden wurden aus operativen Gründen eine Vielzahl von Kleinbestellungen generiert. Hier haben wir von vornherein die Benachrichtigungsfunktionen so umgebaut, dass nur einmal am Tag eine Sammelbenachrichtigung an die Prozessbeteiligten versendet wurde, um ein Vermüllen der Mailbox zu vermeiden. Die meisten Hersteller sind in der Lage und bereit, solche Adaptionen in den Tools vorzunehmen, wenn sie nicht schon vorgesehen sind.

Parallel zur Implementierung muss in einem Teilprojekt die bestehende Datenbasis so aufbereitet werden, dass sie ins Tool übernommen oder angebunden werden kann. Das darf nicht unterschätzt werden. Bei einem meiner Kunden hat sich gezeigt, dass Verträge oft nicht einmal gescannt wurden, erst recht nicht sauber strukturiert digital erfasst. Dafür musste im Rahmen des Projekts also eine separate Arbeitsgruppe gebildet werden, die Verträge eingesammelt, gescannt und klassifiziert hat. Werkstudenten waren uns hier eine grosse Hilfe.

Feedback und Verbesserung

Von vornherein muss aber auch vorgesehen werden, dass langfristig regelmäßig Benutzerfeedback eingeholt und zeitnah im Tool berücksichtigt wird. Der Prozess endet nicht mit der erfolgten Einführung. Dies muss organisatorisch und im Budget eingeplant werden.

Auf diesem Weg ist es möglich, nicht nur eine Digitalisierung mittels neuer Tools voranzutreiben, sondern auch den Reifegrad im gesamten Unternehmen nachhaltig zu verbessern und die Zufriedenheit der zukünftigen User frühzeitig zu gewährleisten. Damit ist dann auch das Fundament vorbereitet, um weitere Digitalisierungsschritte erfolgreich anzugehen.

Tino Lichtenberg ist spezialisiert auf Projekte und Transformationen im Supply Chain Umfeld, insbesondere in der Modernisierung und Digitalisierung von Beschaffungsprozessen. Zu seinen Kunden zählen neben namenhaften Grossunternehmen auch Private Equities und ihre Portfolio-Unternehmen. Zuvor war Tino Einkaufsleiter beim grössten privaten Telekommunikationsunternehmen der Schweiz und hat auch hier erfolgreich den Einkauf optimiert und digitalisiert.

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